Ein letztes Glückauf

2018 ist wohl Schluss mit der Steinkohle – auch wenn es die SPD noch nicht laut sagen will

Die SPD lässt mit dem Abschied von der Kohle im Ruhrgebiet eine ganze Kultur zurück

VON HANNES KOCH

Der Ausstieg aus der Atomkraft ist eine einfache Sache – verglichen mit dem, was der SPD nun bevorsteht. Unter Schmerzen nimmt die Sozialdemokratie Abschied vom Steinkohlebergbau in Deutschland. Der Kompromiss, den die große Koalition, die nordrhein-westfälische Landesregierung und die RAG am Sonntag und Montag aushandelten, lautet: Spätestens 2018 soll das letzte Bergwerk an Ruhr und Saar geschlossen werden – wenn man nicht bei einer Überprüfung im Jahr 2012 eine Verlängerung beschließt.

Geht es beim Ausstieg aus der Atomkraft um den Abschied von einer Technologie und Machtfantasie, so lässt die SPD mit der Kohle eine Kultur zurück. Kohlebergbau im Ruhrgebiet wird seit dem 14. Jahrhundert betrieben, und seit 150 Jahren schöpfen Sozialdemokraten Kraft aus den Vereinen der Bergleute, ihren Liedern und ihrer Lebensweise. „Glück auf!“ heißt der Bergmannsgruß, mit dem SPD-Chef Franz Müntefering manche Pressekonferenz beendet.

Bei der Steinkohle kämpfen beide Seiten um Symbole. Nach seinem Wahlsieg hat NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) Freude daran, die SPD ein weiteres Mal zu erniedrigen. Weil die Union ihre Hand an die Wurzeln der Sozialdemokratie legt, ist Hannelore Kraft aufs höchste alarmiert. Gestern Vormittag tourte die neue nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende durch Berlin. Am Rande des SPD-Parteivorstands sprach sie mit Vizekanzler Franz Müntefering und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Krafts Position: Die Zukunft der Steinkohle ist weiter offen. Sollte es in der Macht der SPD stehen, wird der Bergbau auf unabsehbare Zeit weiterlaufen. Bei der nächsten Landtagswahl will Kraft eine Kampagne für den sogenannten Sockelbergbau führen – hinter diesem Begriff verbirgt sich der jahrzehntelange Weiterbetrieb von zwei bis drei Zechen. Die SPD-Chefin aus NRW erweckte den Eindruck, als habe ihre alte Position auch weiter Bestand.

In der Bundesspitze der SPD hat freilich eine Differenzierung eingesetzt. Während das Präsidium noch am 13. November 2006 beschloss: „Wir setzen uns für eine dauerhafte Aufrechterhaltung eines Sockelbergbaus ein“, sagte Müntefering am Wochenende beim Neujahrsempfang der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE): „2012 muss entschieden werden, was nach 2018 noch möglich ist.“ Ein Treueschwur klingt anders.

Auch Finanzminister Steinbrück deutete an, dass sich die SPD auf ein Ende im Jahr 2018 einlassen könnte. Das gilt für Steinbrück unter drei Voraussetzungen: Es darf keine Kündigungen von Beschäftigten geben, 2012 muss eine „echte“ Überprüfung stattfinden, und die Höhe der Kosten sollte absehbar sein. Augenblicklich zahlt der Staat 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Bis 2018 summieren sich die Subventionen, Renten und Altlasten auf rund 40 Milliarden Euro. Das reicht dem Finanzminister.

Bei der Union zeichnet sich ebenfalls Zustimmung zum Kompromiss ab. NRW-Ministerpräsident Rüttgers hat 2018 zwar noch nicht offiziell akzeptiert und setzt die SPD weiterhin mit einem früheren Ende im Jahr 2015 unter Druck, Aber Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) gab schon einmal bekannt: „Über das Auslaufdatum sind wir zwar noch nicht genau einig, aber es wird sicher Richtung 2018 gehen.“

Von den Krämpfen der Sozialdemokratie abgesehen, ist damit die Position formuliert, die alle relevanten Teilnehmer der Diskussion teilen. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bergbau-Gewerkschaft haben sich damit abgefunden. Zumal einer, der das Ende des Bergbaus vorantreibt, dies den Politikern und Gewerkschaftern mit einem Versprechen versüßt. Wenn die Zechen der früheren Ruhrkohle AG, jetzt RAG, irgendwann dichtmachen, werde er rund 6 Milliarden Euro für die Altlasten des Bergbaus zur Verfügung stellen, sagte RAG-Chef Werner Müller. Mit dem sicheren Ende des Bergbaus im Rücken, so schätzt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, finde er genug Investoren, die ihm den Rest des Konzerns RAG an der Börse abkaufen.

Die 6 Milliarden Euro will Müller in eine Stiftung stecken, um die Renten der Bergleute zu finanzieren und die langfristig durch den Bergbau entstandenen Schäden zu kompensieren. Eine intelligente Idee: Die Börse würde absichern, was sonst die öffentliche Hand bezahlen müsste.

Mag auch das Geld beim Börsengang und bei der SPD die Symbolik im Vordergrund stehen – das angekündigte Ende der Zechen beinhaltet darüber hinaus strategische Industrie- und Klimapolitik. Denn ohne eigene Zechen fällt der Abschied von der Kohle als Energieträger leichter. Das Ende des Bergbaus dient damit dem Klimaschutz. Und plötzlich würden jede Menge Mittel zur Verfügung stehen. Statt Milliarden Euro in eine alte und dreckige Technologie zu investieren, könnte der Staat die saubere Energieerzeugung subventionieren.

Darin ähnelt der Ausstieg aus der Steinkohle dann doch wieder dem Ausstieg aus der Atomkraft.