: Neue Freiheit bei den Grünen
Mit einer Null-Emissions-Strategie wollen die Grünen ihre Politik reformieren. Auf der Regierungsbank sei man zu Kompromissen gezwungen gewesen, sagt Hans-Josef Fell
taz: Der grüne Zukunftskongress forderte im September eine neue Klimapolitik von der Partei. Jetzt liegen die Eckpunkte vor. Was soll passieren?
Hans-Josef Fell: Wir wollen ein radikales Umdenken. Die bloße Reduzierung der Emissionen reicht nicht mehr. Wir brauchen eine Null-Emissions-Strategie, um das Problem an der Wurzel zu packen. Das bedeutet: Elektroautos mit Ökostrom, keine weiteren Kraftwerke, die CO2 ausstoßen, konsequenter Ausbau erneuerbarer Energien. Die Meerestechnologie oder einige der Biokraftstoffe werden am Markt noch gar nicht angeboten. Außerdem wollen wir eine internationale Agentur für erneuerbare Energien, die den Know-how-Transfer zwischen den Ländern fördert.
Keine klimakillenden Emissionen mehr – wollen Sie den Emissionshandel abschaffen?
Der Zertifikatehandel hat in seiner realen Ausgestaltung große Probleme: Wir haben kaum Emissionsreduktionen, dafür aber hohe Kosten. Wir wollen den Emissionshandel nicht abschaffen, aber die Zertifikate müssen in der nächsten Runde versteigert werden. Der Kern unserer Strategie liegt jedoch woanders: keine weiteren Investitionen in fossile oder atomare Technologien. Dieses Geld muss für die Entwicklung erneuerbarer Energien genutzt werden.
Klingt nach einem ökologischen Wünsch-dir-was!
Das ist kein Wunschdenken. Die realen Entwicklungen in der Welt treiben das vielmehr voran. Auch in Ländern wie Spanien oder China hat ein Umdenken stattgefunden. Die Kosten der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien sinken ständig. Wenn neue Technologien billiger sind als alte, werden sie automatisch gekauft. Windräder an windstarken Standorten produzieren heute schon billiger als neue Kohlekraftwerke. Diesen Prozess wollen wir beschleunigen.
Dazu hatten Sie gerade sieben Jahre Regierungszeit. Wieso fällt Ihnen das erst jetzt in der Opposition wieder ein?
Viele unserer Vorschläge waren auch in der Regierungszeit im Gespräch. Die Grünen konnten sich aber gegen den Widerstand unseres Koalitionspartners nicht durchsetzen. Sie wissen, wie stark wir gegen die Kohlepolitik der SPD gekämpft haben. Aber wir haben auch grüne Politik einbringen können, etwa mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, woraufhin sich die Industrie in eine umweltschonende Richtung bewegt hat. Aber wir mussten auch Kompromisse schließen.
… wie Jürgen Trittin, der als Minister die Zertifikate verschenkt statt versteigert hat?
Jürgen Trittin hat eine Versteigerung immer für richtig gehalten. Nach den Erfahrungen des ersten Durchgangs, den es mit einer Versteigerung überhaupt nicht gegeben hätte, sind wir uns in der Fraktion einig, dass eine Versteigerung künftig notwendig ist. Wir haben jetzt in der Opposition die Freiheit, das, was wir in der Regierung nicht durchgesetzt haben, erneut zu fordern – das ist doch ganz normal.
Stimmt: Es wird ja sowieso nicht umgesetzt. Ist das Strategiepapier also Seelenmassage für den grünen Wähler?
Nein, es ist ein klares Papier, das wir nun in der Partei diskutieren, um Argumente für den Klimaschutz zu verstärken. Es soll natürlich auch ein klares Signal an die Gesellschaft sein. In der Opposition haben wir die Möglichkeit, eine neue programmatische Aufstellung zu machen. Das haben wir mit unserer Null-Emissions-Strategie angestoßen.
INTERVIEW: MAIKE BRZOSKA