: Jagdszenen aus der Provinz
„Der Kick“ von Andres Veiel
Die Darstellung von Gewalt ist immer auch Unterhaltung. Da mag der Regisseur noch so vehement die Tat verurteilen: Der Mensch glotzt einfach gerne, und je schlimmer das Verbrechen, umso größer die Schaulust! Es ist fast unmöglich, aus dieser Zwickmühle herauszukommen. Doch der Filmemacher Andres Veiel hat eine radikale Lösung gefunden, indem er nahezu jedes Bild verweigert. Ja ursprünglich hat er noch nicht einmal einen Film gemacht. „Der Kick“ ist ein Theaterstück, das dann nachträglich „abgefilmt“ wurde. Dieses sonst so abwertende Wort passt in diesem Falle ganz gut, denn Veiel, der in Dokumentationen wie „Black Box BRD“ und „Die Spielwütigen“ bewiesen hat, wie virtuos er filmisch erzählen kann, versucht hier nie, „Kino“ zu machen. Natürlich gibt es Nahaufnahmen, Schnitte und eine ganz andere Präsenz der Darsteller als im Theater, aber die Bühnensituation wird im Film nicht etwa kaschiert, sondern mit einem minimalistisch, spröden Bühnenbild geradezu ausgestellt. Und Veiel drehte viele Szenen um vier Uhr morgens: „Da waren die Schauspieler zu müde, um noch zu spielen. Dieses Zurückgenommene wollte ich.“
Die Tat, um deren Erkennbarkeit jenseits der Sensationsgier es Veiel hier ging, sorgte 2002 in Deutschland für allgemeine und wohlfeile „Empörung“. Im brandenburgischen Potzlow wurde in einer Sommernacht der 16-jährige Marcel Schönfeld von den jungen Brüdern Marco und Marcel Schönfeld und deren Saufkumpan Sebastian Fink gefoltert und getötet. Das Opfer wurde dazu gezwungen, sich selber als Juden zu bezeichnen und in die Kante eines Schweinetrogs zu beißen. Einer der Täten sprang ihm dann auf den Hinterkopf, genau so, wie er es in dem Film „American History X“ gesehen hatte. Die Macher dieses durchaus kritisch gemeinten Hollywoodthrillers über die Nazi-Szene in den USA hätte es sich sicher nicht träumen lassen, dass sie Nachahmungstäter inspirieren würden. Aber wie schon gesagt: Bilder von Gewalt bekommen immer auch eine Eigendynamik. Veiel war an den Bedingungen interessiert, die solch eine Tat ermöglichten. Der studierte Psychologe sprach zusammen mit der Dramaturgin Gesine Schmidt monatelang mit den Bewohnern des uckermärkischen Dorfes Potzlow. Die beiden interviewten die Täten, ihre Angehörigen, die Verwandten des Opfers, Nachbarn, Lehrer usw. Zudem bearbeiteten sie Vernehmungsprotokolle, Plädoyers und Gutachten, und diese 1500 Seiten Material komprimierten sie zu einem 40 Seiten langen Bühnentext, den sie als ein „Dokumentartheater“ von den Schauspielern Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch vortragen ließen. Die beiden ahmen dabei zwar die Sprechweise, den Dialekt und die Körperhaltung der jeweils durch sie Sprechenden nach, versuchen aber nie auch nur ansatzweise so etwas wie Illusionstheater zu schaffen.
Nach eigener Aussage ging es Veiel darum, die Täter „aus dem Monsterkäfig heraus“ zu holen. Aber „Der Kick“ liefert auch kein zentrales Motiv. Natürlich ist man erschrocken darüber, wie diese Menschen miteinander umgehen, wie sie voneinander sprechen, wie selbstverständlich dort ausländerfeindliche Parolen geäußert werden. Und wenn ein Vater etwa seinem rechtsradikalen und glatzköpfigen Sohn erzählt, die „richtigen Nazis“ hätten alle einen „ordentlichen Haarschnitt“ gehabt, ist dies auf eine bittere Art und Weise komisch. Aber bei der minutiösen Beschreibung der Tat durch die Täter merkt man auch, wie zufällig und motivlos diese letztlich begannen wurde. Veiel bietet keinen Kick. Wilfried Hippen