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Archiv-Artikel

Kampf um die Meinungshoheit

Verleger Lensing-Wolff präsentiert sich als Opfer – weil andere Medien über ihn berichten

AUS MÜNSTER RALF GÖTZE

Freitag, 19. Januar: Die 19 Redakteure der „Münsterschen Zeitung“ haben gerade die Produktion der Wochenendausgabe beendet, als der regionale Verlagsleiter und ein Hausjurist ihnen verkünden: Ab jetzt seid ihr freigestellt. Die „Münstersche Zeitung“ würde künftig von einer neuen Redaktion erstellt, ihre als GmbH organisierte Lokalredaktion habe ab sofort keinen Produktionsauftrag mehr.

Diese neue Redaktion hat Verleger Lambert Lensing-Wolff im Geheimen aufgebaut. Schon im Herbst musste die Stammredaktion ins Druckereigebäude umziehen – angeblich wegen Renovierungsarbeiten. Neben den Handwerkern arbeitete im Pressehaus aber bereits das Probeteam, organisiert in einer nicht tarifgebundenen Gesellschaft. Während die Altredakteure in einer umgebauten Kantine oder in der Umkleidekabine Artikel tippten, stand ihr Rausschmiss längst fest. Sie könnten sich ja bei der neuen Redaktion bewerben, informierte sie die Verlagsleitung. Der Karnevalsredakteur hat inzwischen gewechselt – und verdient angeblich deutlich weniger Geld.

Spießbürgerliche Presselandschaft

„Cavete Münster“ (Hütet Euch vor Münster) betitelte der Jura-Student Weustenfeld im Semesterspiegel 7/1958 seine in der überregionalen Presse viel beachtete Abrechnung mit dem „Eldorado der Spießbürger“. Ein Blick in die Zeitungslandschaft der Universitätsstadt erweckt den Eindruck, als habe sich seitdem nichts geändert. Eine ist konservativer als die andere. Das einstige CDU-Parteiblatt Westfälische Nachrichten (WN) aus dem streng katholischen Aschendorff-Verlag tut sich zum Beispiel heute noch schwer, mit der lebendigen Schwulenszene umzugehen. Selbst Großveranstaltungen werden verschwiegen. Die „kleine“ Münstersche Zeitung (MZ) zeigt sich bei solchen Themen zwar grundsätzlich offener, bediente aber auch nur ein eingeschränktes politisches Meinungsspektrum. Keiner verkörpert diese Kungelei zwischen Lokalmedien und Politik derzeit besser als der Chefredakteur des neuen MZ-Newsdesks, Stefan Bergmann. Er verdiente seine Brötchen zuvor als WN-Redakteur und Sprecher der Bezirksregierung.

Dabei haben sich die Zeiten geändert. Jura-Candidatus Weustenfeld gründete 1959 mit der akademischen Bieranstalt „Cavete“ die erste Studierendenkneipe Deutschlands. Später folgten Hausbesetzungen, erfolgreiche Grünen-Wahlkämpfe, und 1994 kam es gleich zum doppelten Tabubruch: Mit Marion Tüns saß nicht nur zum ersten Mal eine Frau auf dem Oberbürgermeister-Sessel, sie war auch noch eine Sozialdemokratin. Seitdem ist nichts mehr unmöglich in der Universitätsstadt. Die Grünen fahren auf einmal 20-Prozent-Ergebnisse ein, der SPD-Linke Christoph Strässer gewinnt gleich zwei Mal das Direktmandate, die taz Münster gründet sich.

„Die MZ hat es verpasst, sich ein linksliberales Profil zu geben“, kritisiert Frank Biermann, Vorsitzender des dju-Bezirks Münsterland, das engstirnige Festhalten des Medienhauses Lensing-Wolff an der konservativen Verlagslinie. Stattdessen fischen beide Zeitungen in der gleichen, immer älter werdenden Stammleserschaft herum. Diese reagiert auf die neuen Methoden von Lambert Lensing-Wolff äußerst allergisch. Massenhafte Abokündigungen sind die Folge. So, als laute das neue Motto: „Cavete Münstersche“.

Der Verleger schreibt Geschichte um

Um 21.02 Uhr löscht ein Rechner mit der Internet-Adresse 212.101.204.82 die Informationen zur Newsdesk-Umstrukturierung der MZ ersatzlos aus dem Wikipedia-Artikel über die Münstersche Zeitung. Statt den bisher einmaligen Rauswurf einer kompletten Lokalredaktion zu thematisieren, hält es der eigenmächtige Zensor für richtig, die aktuelle Geschichte lieber mit dem Satz: „2001 brachte die Münstersche Zeitung zudem eine neue Ausgabe für Neuenkirchen und Wettringen heraus“ enden zu lassen.

Kein feiner Zug. Erst recht, wenn die Spur der scheinbar anonymen Internet-Adresse 212.101.204.82 zu einem Server mit den verräterischen Namen „lensingw-rm1.icsmedia.de“ führt. Von einem Firmenrechner des Medienhauses Lensing-Wolff wurden also die nicht genehmen Passagen aus dem Wikipedia-Artikel gelöscht. Doch die frisierte Historie hielt nur eine Minute. Bereits um 21.03 stellte Florian Adler wieder die alte Version her. Danach wurde der gleiche Passus immer wieder von privaten Adressen gelöscht und binnen Minutenfrist wieder hergestellt. Mittlerweile ist Ruhe, bis zum 28. Februar kann der Artikel nur noch von angemeldeten Wikipedia-NutzerInnen bearbeitet werden. Komischerweise versucht seitdem keiner mehr, die Informationen zur Umstrukturierung aus der MZ-Historie zu tilgen.

Die Reaktion der Kollegen

Unglückliche Trennungen provozieren schrille Töne. Seitdem ein größeres Medienecho seine Redaktions-Rochade begleitet, stellt sich Lambert Lensing-Wolff als Opfer einer „Schmutzkampagne“ dar, an der sich auch die Westfälischen Nachrichten beteiligen würde. Der Affront: Das Blatt schwieg die hastige „Freistellung“ von 19 MitarbeiterInnen der Münsterischen Zeitung (MZ) nicht tot. „Wir sind uns unserer besonderen Situation als Konkurrent bewusst, aber wollen gleichzeitig unserer Informationspflicht gerecht werden“, sagt der stellvertretende WN-Chefredakteuer Wolfgang Kleideiter. Drei Mal habe man bisher über die aktuellen Entwicklungen berichtet und dies in deutlich geringerem Umfang als viele andere Zeitungen.

„Ich finde es schon ein starkes Stück, wenn sich Lensing-Wolff als Opfer präsentiert, während die eigentlichen Leidtragenden die 17 freigestellten Redaktionsmitglieder sind“, sagt der Bezirksvorsitzende der Deutschen JournalistInnen-Union (dju) Münsterland, Frank Biermann. Auch der MZ-Betriebsratsvorsitzende Martin Fahlbusch will sich nicht in die Rolle des Nestbeschmutzers drängen lassen. „Wir haben kein Interesse an Abo-Verlusten“, sagt Fahlbusch. „Damit schneiden wir uns doch ins eigene Fleisch.“ Die Geschäftsführung müsse sich vielmehr Gedanken machen, ob die Abo-Kündigungen nicht eher auf das Konto einer solch kompromisslosen Personalpolitik geht. „Es wurden noch nicht einmal Versuche gemacht, die alte Redaktion auf das Newsdesk-Zeitalter vorzubereiten“, betonte der im Kreis Steinfurt tätige Redakteur. Auch hier stehe bald eine Newsdesk-Einführung auf den Plan. Bisher ohne Beteiligung der aktuellen Lokalredakteure, so Fahlbusch: „Das steigert natürlich die Befürchtungen.“

Brüderliche Geschäfte der Konkurrenten

Wenn zwei Zeitungen nicht um die Meinungshoheit kämpfen, dann zumindest um einen Marktführerschaft. Doch stattdessen herrschte in Münster Jahrzehnte lang das einvernehmliche Arrangement zwei betont katholischer Verlage. Die Westfälischen Nachrichten des Aschendorff-Verlags sind die „Großen“ mit einer Auflage von rund 125.000.Die 1986 vom Dortmunder Medienhaus Lensing-Wolff gekaufte Münstersche Zeitung ist die „Kleine“, mit 35.900 verkauften Exemplaren täglich. Der Rest wurde brüderlich geteilt: Das Lokalradio Antenne Münster, das profitable Anzeigenblatt kaufen+sparen, das Online-Portal „westline“ und in Borken sogar der gleiche Kreisredakteur.

Doch diese Zeiten sind vorbei. 2006 schickte der Aschendorff-Verlag einen Konkurrenten zur gemeinsamen kaufen+sparen ins Rennen. Ein Gratisblättchen im Tabloid-Format mit dem ähnlich kreativen Namen HALLO. Ja richtig, das meist genutzte Wort, wenn man nicht weiß, was man sonst sagen oder schreiben soll. Da aber auch so ein zwei Mal wöchentlich erscheinendes Produkt mit Inhalt und vor allen Anzeigen gefüllt werden muss, warb Aschendorff kurzerhand noch Personal von der kaufen+sparen ab.

Lambert Lensing-Wolff kennt die Effektivität solcher Methoden. Im Münsteraner „Botenkrieg“ setzte er sie schließlich selber ein. Den Kauf der Firma „Brief Direkt“ durch den Aschendorff-Verlag beantwortete das Dortmunder Medienhaus mit der Gründung des Zustellservices „Brief & Mehr“ und warb dazu massig Boten ab. Als lachende Dritte gehen aus diesem Streit, der mittlerweile auch die Gerichte beschäftigt, die Kuriere heraus: Aschendorffs „Brief Direkt“ zahlte 500 Euro „Treueprämie“ und „Brief & Mehr“-Boten haben nun einen Hunderter mehr in der Lohntüte.

Wie lange der Friede beim gemeinsamen Online-Portal „westline“ noch hält, ist bisher noch nicht abzusehen. Zum gestrigen Inhalt steuerte fast ausschließlich die MZ bei. Nur am Seitenende fand sich der einzige Artikel der WN. Überschrift: „Verstörender Realismus mit Pfiff“.