: Nach zehn Tagen der Proteste: Der Kalif soll abdanken
BAHRAIN Zuerst forderte die Protestbewegung Reformen. Inzwischen will sie ein neues Regime
BERLIN taz | „Ich sitze gerade in einem Restaurant mit meiner Freundin. Sie ist Sunnitin und ich bin Schiit“, sagt Taher al-Abbood am Telefon. „Ich erzähle dir das, damit du nicht denkst, wir Schiiten und Sunniten würden uns hassen.“ Der Bahrainer ist 21 und hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre. Er wurde in Muharraq geboren und wuchs in Manama auf. Jetzt lebt er in Amar im Süden von Bahrain. Al-Abbood arbeitet als Marketing-Spezialist. Wie viele andere in seinem Alter schließt er sich wie selbstverständlich den Protesten auf der Straße an.
„Ich habe Angst, dass die herrschende Klasse versucht, die Proteste in eine falsche Richtung zu lenken, so wie in Libyen“, sorgt sich al-Abbood. Er sieht Ähnlichkeit mit Libyen bei Bahrains Armee und Polizei: „Dies sind keine nationalen Kräfte wie in Ägypten, sondern internationale, also aus Pakistan, Jemen, Sudan, Syrien. Es sind bezahlte Söldner. Die größte Gruppe unter ihnen, die Pakistaner, sprechen noch nicht einmal unsere Sprache.“ Al-Abbood ist sicher, dass die Herrscherfamilie ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen würde: „Sie ist eine Minderheit, sie hat Angst, dass es ihr an den Kragen geht. Sie wird ihre Macht nicht ohne Blutvergießen abgeben.“
Seit dem Beginn der Proteste in Bahrain am 14. Februar seien zehn Menschen von Sicherheitskräften getötet worden, meint Maryam al-Khawaja, Bloggerin und Menschenrechts-Aktivistin vom „Bahrain Center for Human Rights“ in Manama. „Doch die Protestmärsche werden immer größer. Zuletzt waren es Zehntausende, und das bei einer so kleinen Bevölkerung von gerade einmal einer Million.“
Auf dem Perlenplatz in Manama, den die Protestler inzwischen in „Marchers Square“ umbenannt haben, forderten die Demonstranten am Anfang noch politische Reformen, etwa die Direktwahl des Premierministers. „Doch nun fordern sie offen die Abdankung des Kalifen“, berichtet Matar Ebrahim Ali Matar, der am 17. Februar aus Protest von seinem Mandat zurückgetretene Parlamentsabgeordnete der Jamiyat al-Wifaq al-Watani al-Islamiyah. Auslöser für den Umschwung war die brutale Gewalt vergangene Woche, sagt er. „Nun wollen wir keine Verhandlungen, keinen Dialog mehr mit dem Regime, sondern dessen Fall.“ Das Volk mit Geld ruhigzustellen, würde nicht mehr funktionieren: „Dafür haben die Bahrainis schon zu sehr an der Luft der Freiheit geschnuppert.“
Freie Luft schnuppern jetzt erstmals 23 schiitische Oppositionelle und 50 weitere politische Gefangene, die von König Hamad Bin Issa al-Chalifa am Mittwoch unter dem Druck der Protestbewegung begnadigt wurden, wie Maryam al-Khawaja bestätigt. Unter ihnen befindet sich der Anführer der radikalen schiitischen Gruppe Hak, Abdeldschalil al-Singace. Er wurde am 30. August 2010 verhaftet und war sechs Monate und zehn Tage im Gefängnis. „Das Schlimmste war, dass ich in der ersten Woche nach meiner Verhaftung gezwungen wurde zu stehen. Immer wenn ich hingefallen bin, weil ich nicht mehr konnte, weil mir die Kraft ausging, wurde ich auf den Kopf geschlagen“, erzählt er. „Mein linkes Bein ist seit meiner Kindheit paralysiert, ich kann nicht gehen ohne Krücken. Diese Krücken wurden mir im Gefängnis weggenommen.“ Der Familienvater berichtet, dass ihm angedroht wurde, sich an seiner Familie zu vergehen. „Und in so einem Land befindet sich einer der wichtigsten Stützpunkte der US-Marine und lässt die Formel 1 in den letzten fünf Jahren ihre Champagner-Korken knallen“, kommentiert Aktivistin al-Khawaja. MARTIN LEJEUNE
Autorenhinweis zu Martin Lejeune: Ehemaliger freier Mitarbeiter, die taz hat 2014 die Zusammenarbeit beendet.