: Ermächtigungsgesetz des 21. Jahrhunderts
Einstimmig hat Venezuelas Kongress das Gesetz verabschiedet, das Präsident Chávez das Regieren per Dekret erlaubt
BUENOS AIRES taz ■ Hugo Chávez ist seinem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ein Stück nähergekommen. Die venezolanische Nationalversammlung votierte am Mittwoch einstimmig für ein Gesetz, nach dem Präsident Chávez in den kommenden 18 Monaten in elf Bereichen per Dekret regieren kann.
Das Gesetz erlaube dem Präsidenten, die „bolivarische Revolution zu vertiefen“ und beim „Aufbau des Sozialismus“ voranzukommen, kommentierte Parlamentspräsidentin Cilia Flores. „Hoch lebe das souveräne Volk! Hoch lebe Präsident Hugo Chávez! Hoch lebe der Sozialismus!“, rief Flores nach dem einstimmigen Votum der Parlamentarier. Die Abstimmung hatte im Rahmen einer „Vollversammlung“ im Freien auf der Plaza Bolívar im Zentrum der Hauptstadt Caracas stattgefunden. Außer allen Abgeordneten hatten auch hunderte von Anwesenden die Hände gehoben. Die Zustimmung des Parlaments galt als sicher, da wegen des oppositionellen Boykotts der letzten Wahl alle 167 Abgeordneten Anhänger des Präsidenten sind.
Chávez hatte bereits vor Beginn seiner neuen Amtszeit am 10. Januar angekündigt, er werde im Parlament ein „revolutionäres Vollmachtsgesetz“ einbringen, das bereits als Vorlage in der Schublade liege. „Das Parlament ist in Wartestellung“, ließ Cilia Flores den Präsidenten umgehend wissen. Was Chávez jedoch dem Parlament vorlegte, war mit derart heißer Nadel gestrickt, dass es auf Antrag des Abgeordneten Francisco Ameliach nach der ersten Lesung erst einmal in die zuständigen Ausschüsse verwiesen wurde. Im Einzelnen sei zu ungenau formuliert, was dem Präsident erlaubt sei und was das Parlament weiterhin zu kontrollieren habe, so Ameliach. Die zweite Lesung wurde ein ums andere Mal verschoben.
Zuvor hatten die Abgeordneten die Zustimmung ihrer Wahlkreise für das Gesetz einholen müssen. Die Verfassung schreibt die Beteiligung der Bevölkerung vor. Danach hatte Parlamentspräsidentin Flores verkündet, dass der „Souverän“, die Bevölkerung, in seiner Mehrheit das Gesetz befürworte. Kritiker wie die Bürgervereinigung „Ciudadanía Activa“ bemängelten, die Abgeordneten hätten nur die Befürworter der Vollmacht befragt.
Mit dem Gesetz wird der Präsident ermächtigt, nach eigenen Vorstellungen ohne Kontrolle durch das Parlament in elf Bereichen nur mit Dekreten zu regieren, die „Rang, Wert und Kraft von Gesetzen“ haben.
Im Einzelnen handelt es sich um die Bereiche Infrastruktur, Transport und Dienstleistungen, Wirtschaft, Finanzen und Steuerwesen, Umwandlung des Staates, Beteiligung der Bevölkerung, öffentliche Sicherheit, territoriale Neuordnung des Landes, Verteidigung, Öl-, Gas- und Energiesektor sowie Wissenschaft.
JÜRGEN VOGT