: Der Meister des rollenden Echos
ROCK Günter Schickert zählt zu den eigenwilligsten Krautrock-Musikern Berlins. Sein Solowerk wird inzwischen international wiederentdeckt. Und seine Band Ziguri veröffentlicht mit 30 Jahren Verspätung ihr Debütalbum
VON TIM CASPAR BOEHME
Klischee hin oder her, manchmal stimmt sie einfach: die Geschichte von einer Musik, die ihrer Zeit voraus war, erst mit reichlich Verzögerung als das erkannt wurde, was sie eigentlich schon immer war – oder eben mit der Zeit geworden ist – und unversehens zum verschollenen Klassiker geadelt wird. Für ein paar Jahrzehnte gärt so ein Album gern mal in der Warteschlaufe vor sich hin, bis es reif und abgehangen ist. Dann kommt mit etwas Gück jemand vorbei und sagt sich: Mensch, toll! Dass ich das nicht schon früher kennengelernt habe!
Günter Schickert erging es so mit seinem Debütalbum „Samtvogel“ von 1974. Bei sich in der Wohnung – auf der Plattenhülle steht sogar seine frühere Adresse: Mittenwalder Straße 8 – im Alleingang eingespielt und aufgenommen, veröffentlichte der Berliner Musiker die Schallplatte zunächst im Eigenverlag: 500 Stück. Die wie nicht ganz von dieser Welt klingenden Gitarren-Echocollagen, mal spukhaft, mal apokalyptisch, mal pastoral, folgten einem verschachtelt-repetitiven Ansatz, der manche Hörer seinerzeit ratlos hinterließ. „Die habe ich an Freunde verschenkt, verkauft, als Geschenk zum Geburtstag benutzt und an ein paar Plattenfirmen geschickt. Da habe ich mir auch alle möglichen Kritiken anhören dürfen“, so Schickert.
Tonband als Partner
Das Krautrock-Label Brain zeigte sich interessiert, presste die Platte nach, zuletzt 1980. Hierzulande bekamen das nur wenige mit, Gleiches gilt für die folgenden Alben „Überfällig“ (1979) oder „Kinder in der Wildnis“ (1983). Vor Kurzem wurden sie alle wieder neu aufgelegt, nachdem die Krautrock-Enthusiasten vom spanischen Label Wah Wahl 2010 mit einer Vinyledition von „Samtvogel“ den Anfang gemacht hatten. Und Ziguri, das Powertrio von Schickert, Dieter Kölsch und Udo Erdenreich, bringt, 30 Jahre nach seiner ersten Begegnung, dieser Tage sein Debütalbum heraus. Aber der Reihe nach.
Schickert, der 1949 im westlichen Nachkriegsberlin geboren wurde, brachte sich das Gitarrespielen selbst bei. Als Instrument gelernt hatte er zuvor Trompete. „Mit zwölf Jahren im Konfirmandenunterricht kam jemand an und meinte: ‚Wir suchen Nachwuchs für unseren Bläserkreis.‘ “ Was bei anderen zur peinlichen Anekdote geraten könnte, stellte sich bei Schickert als prägende Erfahrung heraus. Denn mit der Barockmusik, die er in der Kirchengemeinde einübte, machte er sich mit Dingen wie Mehrstimmigkeit vertraut, die er später in seiner Gitarrenmusik völlig anders verwirklichte.
Schon auf „Samtvogel“ kam der „Echodrive“, auf dem Schickerts Spielweise beruht, zum Einsatz. Statt einfach nur seine Gitarre aufzunehmen, spielte er Echoeffekte mit einem Delay ein, die er durch Mehrfachaufnahmen mit weiteren Echospuren überlagerte und so komplexe Rhythmus-Patterns erzeugte, wie man sie auch in der Minimal Music findet. „Mir ist aufgefallen, wenn ich mit dem Tonband mit dem Echo spiele und damit so gut zusammenspiele wie mit einem anderen Gitarristen, dann entsteht ein neuer Drive.“
Anders als etwa in der Clubmusik, musste Schickert seine Figuren bis zu 17 Minuten von Hand wiederholen. Programmieren oder ähnliche Hilfsmittel standen noch nicht zur Verfügung, wenn er sich verspielte, musste er von vorn beginnen. Dabei sieht sich Schickert zu gleichen Teilen als Gitarrist wie als elektronischer Musiker: „Das hält sich die Waage. Ich benutze die Gitarre manchmal nur, um einen Ton zu haben. Du kannst den dann überall durchjagen und verändern und nochmal durchjagen. Da ergeben sich Klangwelten, die anders nicht zu erreichen sind.“
In der sich Ende der sechziger Jahre herausbildenden Berliner Krautrockszene war Schickert schon früh als Trompeter aktiv, spielte unter anderem Free Jazz in Läden wie dem kurzlebigen, doch folgenträchtigen Krautrock-Biotop Zodiak Free Arts Lab, dem heutigen WAU unter dem HAU 2. An der Gitarre fühlte er sich lange nicht sicher genug: „Ich habe zweimal Jimi Hendrix live gesehen. Wenn man den live sieht, dann kann man als Gitarrist eigentlich nach Hause gehen. Aber das habe ich natürlich nicht getan. Ich habe meinen Weg in der Beherrschung der Effekte und des Gefühls, das man damit ausdrücken kann, gefunden.“
Auch auf einer viel grundsätzlicheren Ebene hat Schickert seinen Weg zum Musikmachen gefunden. Denn er hat nie eine Musikerkarriere im engeren Sinn angestrebt. Seinen erlernten Beruf des Versicherungskaufmanns wollte er ebenfalls nicht auf Dauer ausüben, stattdessen suchte er sich Gelegenheitsjobs, lud zum Beispiel Waggons mit Geräten bei Osram aus: „Damals hat man ja noch vernünftiges Geld verdient.“ So konnte er von drei Monaten Arbeit ein halbes Jahr leben und die „arbeitsfreien“ Phasen zum Musikmachen nutzen.
Er verliere schnell die Lust, sich in der Musik „auf diesen Markt einzulassen, eine Ware herzustellen. Ich habe auch eine Zeit gehabt, da habe ich mir gesagt: Jetzt bin ich ganz konsequent: Wenn jemand von mir Musik hören will, dann muss er dahin kommen, wo ich spiele.“ Dass er am Ende doch nicht so konsequent war und in unregelmäßigen Abständen Material auf Tonträgern zugänglich macht, kann man nur begrüßen.
Proben im SO36
Wie bei seiner Band Ziguri: In den achtziger Jahren arbeitete Schickert mit Kölsch und Erdenreich im Theater 100Fleck. Wirkungsstätte war das SO36, damals eigentlich noch Ausstellungsraum für Stadtbauprojekte. Nachdem es einige Wochen von Punks besetzt worden war, hatte sich Schickert mit einigen anderen gemeldet, um dort einen Kiezveranstaltungsraum zu organisieren. „Wir haben alle möglichen Sachen gemacht.“ Unter anderem viel Musik. Schickert stieg nach einigen Jahren bei 100Fleck aus, man musizierte nur noch sporadisch zusammen.
Über andere Bandprojekte traf man sich erneut. Und 2011 wurde Ziguri endgültig neu belebt. Ihr selbst betiteltes Echorock-Debütalbum wurde übrigens nicht daheim, sondern im Studio von Dirk Dresselhaus alias SchneiderTM aufgenommen. Schickert ist selbst erstaunt: „Nach 30 Jahren kommt jetzt die erste Platte raus.“ Die nächste folgt sicher. Irgendwann.
■ Ziguri: „Ziguri“ (Bureau B/Indigo)