: Ich, 23, bin flexibel und motiviert
Die neue Serie: Eine Kleinanzeige und ihre Geschichte. Heute: Julia Walter, 23, bricht ihr Studium ab und sucht nach neuen Herausforderungen
„Bin flexibel, begeisterungsfähig, motiviert und kann mich schnell auch in komplexe Inhalte einarbeiten“ – Julia Walters Selbsteinschätzung müsste eigentlich jeden Personalchef vor Glück weinen lassen. Doch auf ihr Stellengesuch hat sich noch niemand gemeldet. Kein Einziger. Die Sache hat nämlich einen Haken – um genau zu sein zwei: „Ich (23) habe gerade mein Studium (Philosophie, Psychologie, Germanistik) abgebrochen“ – auweia, eine Geisteswissenschaftlerin –, und dann auch noch eine abgebrochene. Was soll man mit so einer schon anfangen?
Diese Bedenken kennt Julia Walter nur zu gut. Im Wissen um ihre schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat sie ihr Studium begonnen – und genauso bewusst auch beendet. Aber: „Ich wollte mich nicht verkaufen und in Richtung Wirtschaft gehen. Den Gedanken mochte ich nie.“
Zum Wintersemester 2006/2007 ist die gebürtige Schwäbin aus Freiburg nach Berlin gezogen, „ich wollte weg, weil ich das Gefühl hatte, in einer Blase zu leben, den Kontakt zur realen Welt zu verlieren“, sagt sie. Jetzt wohnt sie in Kreuzberg: „Die Leute hier sind nicht so engstirnig.“
Zunächst war ihr Plan gewesen, dem Beispiel einiger Kommilitonen zu folgen und nach sechs Semestern den Studienort zu wechseln. Doch als sie sich an der Berliner FU einschreiben wollte, bekam sie Beklemmungen: „Ich spürte, dass es nichts ändern würde, ob ich jetzt in Freiburg, Berlin oder sonst wo studiere.“ Also ging sie wieder nach Hause.
Warum sie eigentlich genau aufgehört hat? Zunächst erzählt Julia von Problemen mit ihrem Freiburger Mitbewohner, aber als man gerade denkt, Privatsachen gehören nicht in die Zeitung, und das Telefonat beenden will, stößt sie zum Kern ihres Problems mit dem Uni-Alltag vor: „Es hat mich wahnsinnig gemacht, Wissen im Kopf anzusammeln, ohne es wirklich loswerden zu können.“ Sie habe gelernt, wie man lernt, Referate hält, Hausarbeiten schreibt. „Das Gerüst war immer dasselbe, ich habe es immer nur mit neuen Inhalten gefüllt“, erzählt sie. Das hat sie zermürbt. „Ich kenne keinen Magisterstudenten, der nicht ständig am Sinn seines Studiums zweifelt“, sagt sie. „Schluss mit der Theorie“ steht in ihrer Anzeige. Fett gedruckt. Und mit Ausrufezeichen. Im Gespräch relativiert Julia Walter diese Ansage: „Ich werde mich mein Leben lang mit Philosophie beschäftigen, habe es aber satt, Hausarbeiten drüber zu schreiben.“ Im Moment liest sie das Buch „Negative Freiheit. Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus“ des US-Philosophen Charles Taylor, ist aber erst auf Seite 20: „Philosophische Texte sind immer sehr anstrengend.“ Zum Ausgleich liegt daneben „Stiller“ von Max Frisch. Sie überlegt, Buchhändlerin zu werden.
Langweilig wird Julia Walter sehr selten: „Irgendwie ist immer irgendwas.“ Sie schreibt Texte, über die sie nicht so gern redet, macht Karate oder trifft sich mit Freunden. Viele hat sie über ihren Mitbewohner kennen gelernt.
Und was sagen ihre Eltern dazu? „Auf die Frage habe ich gewartet“, sagt Julia Walter und erzählt, dass ihre Eltern keine Akademiker sind: „Sie hatten also gar nicht den Anspruch an mich, dass ich unbedingt studieren muss.“ Zuerst habe sie ein schlechtes Gewissen gehabt, „weil meine Eltern es nicht dicke haben, mich aber immer finanziell unterstützt haben“. Nur in den Semesterferien musste sie arbeiten. Erst Mitte November, sechs Wochen nach Semesterbeginn, hat sie ihnen gebeichtet, dass sie das Studium abgebrochen hat. Ihre Eltern zahlen weiter.
Aber wohl nicht mehr lange. Ein Bekannter hat ihr einen Job bei einem Location-Scout für Film und Fernsehen vermittelt. Dem werde sie erst mal das Archiv sortieren. Wann’s genau losgeht, weiß sie nicht, genauso wenig ihr Gehalt oder weitere Aufgaben. Macht aber nichts. Sie sagt: „Man muss ja alles mal ausprobieren, oder?“ DAVID DENK