: „Kultur kann eine Salbe sein“
VON PETER ORTMANN UND NATALIE WIESMANN
taz: Frau Sevindim, sind Sie eine doppelte Quotenfrau?
Asli Sevindim: Es trifft zu, dass ich eine Tochter von Gastarbeitern bin und gleichzeitig die einzige Frau im Team. Aber ich fühle mich nicht als Quotenfrau und glaube auch nicht, dass das bei meiner Wahl den Ausschlag gab. Und wenn, dann interessiert mich das wenig. Ich halte es für wichtiger, wenn Migration und Integration eine Rolle spielen und es ist für das Ruhrgebiet nicht schädlich, wenn dafür jemand mit Migrations- Hintergrund die Leitung übernimmt.
Und was wollen Sie nun tun?
Kulturhauptstadt ist ja für uns etwas ganz Neues. Das Thema müssen wir uns komplett erarbeiten. Das wollen wir im Team spartenübergreifend tun. Wir haben jeder eigene Kompetenzen und können an existierende Netzwerke anknüpfen. Unser Ziel ist es, dass bis 2008 das Kulturprogramm steht. Ich will also zu Vereinen, Migranten-Selbsthilfeorgansationen oder einzelnen Künstlern gehen, und sie fragen, was ihr Beitrag sein könnte. Wir wollen das nicht nur abfeiern, sondern auch Strukturen stärken.Und ich will für die Kulturhauptstadt werben.
Also ist die Tourismus-Förderung das eigentliche Ziel?
Das ist ein ganz zentraler Punkt. Wir wollen zeigen was wir haben. Eine zentrale Frage bei der Bewerbung war, wie wollen wir es schaffen andere Leute in die Region zu kriegen. Aber wir wollen nicht nur die positiven Dinge zeigen, sondern auch den harten Weg, der hier gegangen wird.
Stimmt. Der Ausstieg aus der Kohleförderung ist beschlossen, der Strukturwandel stockt. Ist Kultur das Allheilmittel?
Natürlich nicht, aber Kultur kann eine nette Salbe sein. Dass jemand, der um seinen Arbeitsplatz bangt, keinen Bock hat, sich Folklore anzuschauen oder in Tanztempel zu gehen, ist mir völlig klar. Dazu kenne ich als Arbeiterkind aus Duisburg zu viele Menschen, die in dieser Lage stecken. Mein Vater ist Kranführer bei ThyssenKrupp.
Und wenn der Arbeitsplatz bereits weg ist?
Natürlich darf man nicht sagen: Jetzt kriegt ihr ein schönes Abo fürs Klavierkonzert und dann wird das schon wieder. Dass ein 50-jähriger arbeitslose Bergmann nicht plötzlich bei MTV moderieren kann, ist auch klar. Aber es geht darum, dieser Region wieder Hoffnung zu geben. Warum soll Kulturwirtschaft da nicht helfen, ein Stück weiterzukommen?
Alle hoffen darauf. Aber was hat zum Beispiel Breckerfeld (Hansestadt im Ennepe-Ruhr-Kreis mit knapp 10.000 Einwohnern, Anm. der Red.) von der Kulturhauptstadt 2010?
Was Breckerfeld davon hat, kann ich jetzt auch nicht direkt sagen. Es gibt für Breckerfelder, wie für andere Bewohner des Reviers, aber die Möglichkeit, an den vielen Veranstaltungen teilzunehmen oder auch eigene Ideen einzubringen.
Wie der arme Duisburger Stadtteil Marxloh?
Es geht eher um das Image von Marxloh. Das Klischee ist: Da gibt es nichts und die Türken haben alles aufgekauft. Niemand redet darüber, dass dort Menschen leer stehende Geschäfte wieder belebt haben. Es gibt auch Kulturprojekte, wie eine kleine Galerie. Dort finden Vernissagen statt. In Marxloh. Das können sich viele Leute gar nicht vorstellen. Mein Anliegen ist zu zeigen, dass Einwanderer nicht nur defizitäre Wesen sind, sondern auch Kultur schaffen.
Folklore?
Nein. In Duisburg wurde gerade mit Poedra eine junge Hip-Hop-Truppe ausgezeichnet. Das sind ein Türke und zwei Griechen, die wunderbare Musik machen. Da gibt es Künstler, die sich engagieren und anderen Jugendlichen beibringen wollen, ihre Wut in Texten auszudrücken, statt vor die Wand zu laufen.
Die GmbH hat 48 Millionen Budget: Viel Geld, um solche kleinen Projekte zu fördern?
Die Jungs von denen ich gerade sprach, die machen das sogar umsonst. Die warten nicht darauf, dass irgendein Kunst-Mäzen mit viel Geld in der Hosentasche daher kommt und ihnen eine Gage bietet. Die machen das sowieso und das verdient Respekt und Anerkennung.
400 Anträge liegen der Gesellschaft vor, alle wollen Geld.
Ich glaube schon, dass da auch ein paar interessante Ideen drunter sind. Aber wir sind eben keine Antragsstelle. Wir suchen neue gedankliche Ansätze.
Die Abgelehnten werden die Ruhr 2010 hassen.
Das ist immer so. Ich kenne das aus meiner interkulturellen Arbeit und habe selbst viele Anträge gestellt, die dann zurückgekommen sind. Wir machen ja auch keine temporären Kultur-Events. Wir wollen beispielsweise wissen, wie sich brachliegende Areals entwickeln. Was sind dort die Alternativen zu Shopping-Malls. Es geht um Künstlerateliers und alternative Wohnprojekte. Auch Industrie-Kultur allein kann es nicht sein. Und es kann nicht darum gehen, die zu fördern, die sowieso schon versorgt sind, sondern auch die kleinen Dinge im Verborgenen. Aber Leuchtturmprojekte sind bei der Kulturhauptstadt eben auch wichtig. Die sollen Aufmerksamkeit erregen.
Also werden doch Renommierte für viel Geld eingekauft und die Künstler vor Ort sollen das umsonst machen?
Ich habe nur gesagt, dass es für diese Jungs keine Rolle spielt, ob sie jetzt schon im Budget vorgesehen sind. Hip-Hop ist eine wichtige Ausdrucksmöglichkeit für die Kinder von Einwanderern. Aber es gibt ja auch die Absicht, neue Mittel zu generieren und Sponsoren zu finden. Warum sollte es nicht möglich sein, etwa Hip-Hop-Gruppen in Dortmund oder Essen zu vernetzen? Es geht eben auch um ideelle Förderung. Im Kulturhauptstadt-Team sind wir uns einig, dass wir unbedingt interkulturelle Kultur fördern wollen.
Die aber in den etablierten Kulturtempeln noch nicht angekommen ist.
Das ist klar. Kultur, die Einwanderer aus ihrer Heimat mitgebracht haben oder die von ihnen hier entsteht, findet noch nicht ausreichend statt. Aber wir haben zum Beispiel das interkulturelle Melez-Festival mit dem Kulturhauptstadt-Gedanken bereits angeschoben.
Das kämpfte aber bereits mit seiner Finanzierung.
Als ich hörte, dass das neue Folkwang-Museum in Essen gebaut werden soll und dass die Krupp-Stiftung das mit 50 Millionen Euro sponsert, fand ich das eine gute Sache. Doch dann kam bei mir die Frage auf, wer überhaupt in den nächsten fünfzig Jahren in all die vielen Musentempel hier gehen soll. Wir können hochrechnen, dass 2010 die Hälfte unser Kinder einen Migrations-Hintergrund hat. Wir wissen, dass die meisten Eltern die am Wochenende nicht an die Hand nehmen und sagen: Kuck mal, ein tolles Museum, ein tolles Theater.
Und jetzt?
Wir sollten überlegen, dass ein guter Teil der kommenden Fördermillionen nicht nur in Gebäude und Kunst geht, sondern auch in kulturelle Bildung. Dass man diesen Leuten Spaß an diesen Dingen vermittelt. Aber dann müssen da auch Themen aufgegriffen werden, mit denen die Jugendlichen etwas anfangen können.
War das bei Ihnen auch so?
Mein Vater hatte keine Zeit, der hat Schicht gearbeitet, genau wie meine Mutter. Es muss andere Anhaltspunkte geben, wie die Schule, die vielleicht mit mir ins Ballett geht. Wir werden in Zukunft ganz viel Geld in kulturelle Bildung stecken müssen. Sonst haben wir tolle Einrichtungen für Kunst, Kultur und Gedöns, aber niemanden geht mehr hin.
Aber in 15 Jahren werden auch viele Rentner leben, die Geld, Zeit und Muße haben.
Kunst und Kultur muss für alle offen sein. Das ist auch eine Frage des Zugangs. Hab ich gelernt, dahin zu gehen? Wie zieh ich mich für die Oper an? Wofür kann Theater gut sein oder ist das nur Schmuh? Vergeudet mein Kind seine Zeit, oder bringt es ihm auch etwas?
Sie betonen immer wieder, wie schön Duisburg ist.
Das ist mein Zuhause. Da wohne ich. Da kenne ich mich gut aus. Ich kriege den Horror, wenn ich nach Düsseldorf muss und die vielen großen Straßen sehe. Ich bin in Meiderich geboren, in Marxloh aufgewachsen. Da bin ich selbst zum schicke Sachen einkaufen hingegangen.
Ihre Heimat ist also Duisburg in Deutschland?
Ich habe mir diese Frage nie gestellt, wo ich hingehöre. Sie wurde mir immer von außen aufgedrängt. Heute hab ich die Haltung: Wer will mir eigentlich sagen, wo ich hingehöre? Den Lokalpatriotismus betone ich gerne aus zweierlei Gründen: Duisburg ist mein Zuhause. Die Stadt oder auch die Region hat nie gesagt: Nee, du darfst kein Ruhri sein. Deutsch sein ist eher exklusiv. Das sieht man schon am Papierkram für den Pass. Deshalb bin ich immer noch Türkin. Aber eine Ruhrgebiets-Identität, die erarbeitet man sich.
Seit zehn Jahren arbeitet der Regionalverband an einer gemeinsamen Identität. Der Begriff „Ruhrstadt“ scheiterte am Kirchturmdenken der einzelnen Kommunen. Das wird sich mit der neuen „Metropole Ruhr“ nicht ändern.
Finde ich nicht. Man kann sehr eigen sein und trotzdem was gemeinsam haben. Wie in der EU: Da sind eigene Länder mit eigener Entwicklungsgeschichte und Mentalität. Trotzdem versuchen sie, sich zusammenzuraufen, eine gemeinsame Kultur zu finden. Ähnlich muss das im Ruhrgebiet sein. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen von hier einfach als Touristenführer eingesetzt werden. Die Urlauber sollen dann denken: Das ist lecker, was wir hier machen. Auch hier ist eben Rock ‘n‘ Roll.