berliner szenen Secondhandgeschäfte

Sachen suchen

Ich war schon ewig nicht mehr im Secondhandladen. In der Küche an der Pinnwand hängt der Zettel mit dem spätesten Abholdatum für die Kleidungsstücke, die ich in Kommission hingebracht habe. In zwei Tagen! Also nichts wie hin, sonst geben sie meine Sachen weg. Eigentlich will ich sie ja loswerden. Aber ein bisschen Geld dafür zu bekommen, wäre schön.

Dann steh ich vorm Laden – und er ist verschwunden! Innen ist alles leer geräumt, kahle, weiße Wände. Am Fenster ein Zettel, dass das Geschäft zu vermieten ist. Mist. Wo sind meine Sachen jetzt? Hängt nicht irgendwo ein Zettel mit einer Telefonnummer? Nix.

Ich gehe nebenan in die Bäckerei, kaufe Schrippen und frage beim Bezahlen, was aus dem Laden geworden ist – als Nachbarn müssten sie das doch wissen? „Wo die Inhaberin geblieben ist, weiß keiner“, antwortet die Verkäuferin. „Die Leute suchen alle ihre Sachen, war ja viel teures Markenzeug, was sie angeboten hat. Bei der Polizei waren deswegen auch schon welche!“

Ich nicke, greife nach der Brötchentüte und verabschiede mich. Soll ich jetzt auch meine Sachen suchen gehen? Vielleicht sehe ich auf der Straße jemanden in einem Pullover oder einer Jacke von mir. Ich fange an, die Leute eindringlich zu mustern, und zwar sehe ich ihnen nicht wie sonst ins Gesicht, sondern auf die Kleidung, begucke Schals, Mäntel, Hosen. Aber es gibt ein Kleidungsstück ja nicht nur ein einziges Mal. Selbst wenn ich etwas sehe, das ich kenne, muss es nicht mir gehört haben.

Andererseits ist es komisch, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung, was für Sachen ich abgegeben hatte. Ich hab sie nicht vermisst, kann mich nicht mal an sie erinnern. Ach, schön, dass ich sie los bin! ANNETTE SCHWARZ