: "Die goldenen 40 Jahre sind vorbei"
■ Die Regierungskoalition verabschiedet sich vom wirtschaftspolitischen Ziel der Vollbeschäftigung und proklamiert den Verzicht auf Einkommenszuwächse und den Abbau von Sozialleistungen
Im kommenden Jahr müssen die Bundesbürger den Gürtel enger schnallen. Vertreter der Regierungskoalition haben in der gestrigen Haushaltsdebatte des Bundestages erstmals in dieser Deutlichkeit eingeräumt, daß die Deutschen in den kommenden Jahren mit Wohlstandseinbußen rechnen müssen. Erst nach heftigem Streit um eine arbeitsmarktwirksame Wirtschaftspolitik billigte das Parlament in einer Kampfabstimmung den Einzelhaushalt von Minister Günter Rexrodt mit den Stimmen der Koalitionsparteien. Die Opposition warf der Regierung Versagen bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben vor.
Der frühere Wirtschaftsminister und jetzige FDP-Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff gab in der erregt und polemisch geführten Aussprache zu verstehen, daß die Arbeitslosigkeit auch bei größter Anstrengung nicht vollständig abgebaut werden könne: „Vollbeschäftigung als Ziel staatlicher Politik kann nicht mehr ernstgenommen werden.“
Lambsdorff fügte hinzu: „Die goldenen 40 Jahre dieses Jahrhunderts haben wir hinter uns. Sie sind vorbei, sie werden so schnell nicht wiederkommen.“ Auf die Strukturveränderungen und die Internationalisierung der Märkte müsse mit einer Globalisierung des Handels- und Wettbewerbsrechts geantwortet werden. Im Innern sei Verzicht auf Einkommenszuwachs und der Abbau von Sozialleistungen nötig. Lambsdorff lobte in diesem Zusammenhang die Vorschläge des IG-Metall-Chefs Klaus Zwickel für einen Verzicht auf reale Lohnerhöhungen, Arbeitszeitkonten und Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose. Auch Rexrodt sagte, Zwickel denke in die richtige Richtung: „Wir brauchen mehr Flexibilität. Lohnausgleich bei kürzerer Arbeitszeit kann sich unsere Volkswirtschaft nicht mehr leisten.“ Der Minister kündigte ferner für Anfang kommenden Jahres ein Maßnahmenpaket der Regierung für Wachstum und Beschäftigung an. Er sprach sich dafür aus, die europäische Währungsunion so schnell wie möglich einzuführen, weil dann die deutschen Unternehmen im Wettbewerb besser bestehen könnten.
Nach den Worten des wirtschaftspolitischen Sprechers der SPD im Bundestag, Ernst Schwanhold, hat es die Regierung versäumt, die geeigneten Rahmenbedingungen für Markteinführung neuer Technologien wie etwa der Solartechnik zu schaffen. Schwanhold forderte einen „Pakt für Zukunftstechnologien“ in Deutschland, dem die Tarifpartner, der Staat und die Banken angehören müßten. Noch nie sei der Mittelstand von der Politik so alleingelassen worden. AP
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