: Mit ihr war kein Staat zu machen
■ Traute Müllers leiser Abgang von der politischen Bühne – eine Würdigung von Marco Carini
Es war ein stiller Abschied von der politischen Bühne. Ohne großes Brimborium, aber auch ohne den Blick zurück im Zorn räumte die ehemalige Stadtentwicklungs-Senatorin Traute Müller ihren Platz in der Bürgerschaft für den Parteigenossen Michael Selk. Um sich, wie sie sagt, „ganz auf ihre neue Aufgabe konzentrieren zu können“. Statt in der Hamburger Politik mischt die SPD-Frau aus dem linken Eimsbüttler Parteiflügel nun als Unternehmensberaterin in der Wirtschaft mit.
Gemessen an dem, was Politiker für sich oft als Erfolg verbuchen – blenden, über den Tisch ziehen, Kompromisse jenseits aller Inhalte finden, den Staat zelebrieren – war Traute Müller eine „Versagerin“. Ihre Bürgerschaftsreden rissen nicht mit, sie zeigte Unsicherheiten, statt sie zu überspielen, und – Todsünde! – sie sagte häufig auch in den prekärsten Situationen, was sie meinte.
Mit dieser Frau ist kein Staat zu machen, das war nicht nur Meinung der Presse und des Juste Milieu der SPD, das war auch die Meinung von Bürgermeister Henning Voscherau. Er setzte nach ihrer ersten Zeit als Landesvorsitzende alles daran, sie abzuschießen. Der Coup mißlang. Die „lieben Genossinnen und Genossen“ waren auf einmal gar nicht mehr lieb im Sinne ihres Bürgermeisters und machten „uns Traute“ wieder zur Parteivorsitzenden.
Als Traute Müller schließlich Stadtentwicklungssenatorin wurde und sich in die Viertel von Kirchdorf bis Osdorf hinaus wagte, mit den Menschen sprach und stritt, kehrten sich die eingangs genannten „Schwierigkeiten“ in ihr Gegenteil. Da zählte nur noch: „Nimmt die uns ernst, oder speist sie uns ab?“ „Will die was mit uns, oder will die nur was für sich?“ Auf dem harten und manchmal sehr ungerechten Prüfstand trotzte das häßliche Entlein der politischen Eitelkeiten auch knallharten Gegnern Respekt ab.
Der schon legendäre Machtkampf mit Bausenator Eugen Wagner – „Hauptleidtragender“ der Stadtentwicklungsbehörde, die aus seinem Erbhof Baubehörde geschnitten wurde – wäre vermutlich im typischen Sozi-Formelkompromiß versandet. So wurde er zum Kampf zwischen zwei politischen Kulturen: Dialog- contra Machtpolitik.
Hinzu kam, daß Traute Müller Johannes Raus oft am Rande der Heuchelei angesiedeltes „Versöhnen statt spalten“, vom Kopf auf die Füße stellte. Nicht, daß sie nicht entschieden hätte. Aber die Entscheidungen fielen immer öfter außerhalb der tradierten Rechts-Links-Muster, in denen sich beide Flügel der Partei so trefflich eingerichtet hatten. Daß sie sich die Traditionalisten von rechts (die Bosse des Bezirks Mitte von Eugen Wagner bis Volker Lange) zu Feinden machte, lag in der Natur hamburgisch-sozialdemokratischer Sache. Daß sie durch ihren Politikstil auch die linken Genossen (Jan Ehlers und seine Behördencrew aus der Hamburger Straße) gegen sich aufbrachte, isolierte sie schließlich.
In dieser Situation versuchte sie, ihre Politik des Dialogs zumindest in der eigenen Behörde durchzusetzen. Behördenangestellte sollten auf die Menschen zugehen, die Kluft zwischen Verwaltung und Bürgern muß zugeschüttet werden, wenn Politik überleben will – dieses immer wieder formulierte Credo versuchte sie über Personalentwicklung umzusetzen. Was heute unter dem Druck des Sparens zum Einleitungsstandard eines jeden behördlichen Motivationsseminars gehört, erntete damals nur Spott und Hohn. Sie war ihrer Zeit voraus. „Traute tanzt mit ihren Amtsleitern wieder Ringelpietz mit Anfassen“, höhnte es unisono aus sämtlichen Hamburger Behörden und vom Rathaus direkt in die Presse. Aushalten konnte Traute Müller das nur, weil trotz aller Gehässigkeiten die SPD-Basis und viele Funktionäre immer mehr Gefallen an der Müllerschen Politik fanden.
Als jedoch das zum Greifen nahe Rot-Grün-Projekt in Hamburg scheiterte, wurde es nicht nur für Traute Müller eng. Höchstwahrscheinlich hätte sie den Sprung in den Senat noch einmal geschafft, wäre aber neben der schon bestehenden Isolation völlig eingemauert worden. Doch dann wurde die Stasi-Affäre ihres Lebensgefährten bekannt. Mit einer beeindruckenden menschlich-politischen Erklärung, die sogar ihren schärfsten GegnerInnen Respekt abrang, nahm sie für sich das Recht in Anspruch, die Senats-Ebene zugunsten einer privaten Auseinandersetzung zu wechseln. Und das meinte sie ernst. So ernst, daß sie, als sich ihre Isolation in einer erstarrten SPD-Fraktion fortsetzte, auf ihr Bürgerschaftsmandat auch verzichten konnte.
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