: Dauernder Erzählfluß
■ Amélie Niermeyer inszenierte am Thalia-Theater Hebbels „Maria Magdalena“
Wenn man Jugendliche in der unkomplizierten Forschheit unserer Zeit darstellt, sie aber die Probleme des frühen 19. Jahrhunderts haben läßt, entsteht eine gewisse inhaltliche Schwerelosigkeit. Da wird gefeixt, geneckt und geschäckert, die Ansprache ist direkt bis unverschämt, Respekt, Ehrfurcht und Gehorsam vor dem Alter wird zwar im Text erklärt, findet aber im Verhalten nicht statt. Das ist doch befremdlich, gerade wenn es, wie bei Maria Magdalena, darum geht, daß Elternfrömmigkeit und männliche Etikette alle Beteiligten ins Verderben reißen, aber keiner der jungen Menschen den Eindruck erweckt, als ließe sich diese Zwangsläufigkeit durch ein schlichtes „Sei's drum“ nicht einfach aus der Welt hebeln.
Klara ist ein selbstbewußtes junges Mädchen (Sylvie Rohrer), scheinbar frei von Komplexen, der man kaum zutraut, daß sie sich umbringt, um den Vater vor der Schande ihrer vorehelichen Schwangerschaft zu bewahren. Der liebende Sekretär (Dietmar König) verstrahlt ebenfalls nichts als die frische Gelassenheit studentischer Leidenschaft, der es letztendlich wurscht ist, ob der kleine Fötus unterm Herzen Klaras seiner Zeugung entstammt oder nicht. Und auch der egoistische Schwängerer Leonhard ist in seiner lockeren Eigensucht ganz ohne Sitte und Kirchlichkeit.
Nur die Eltern, Angelika Thomas und Fritz Lichtenhahn in seiner besten Rolle am Thalia seit langer Zeit, scheinen der Vergangeheit zu entstammen, in der Ehre und Rechtschaffenheit schon durch ein Mißverständnis zu Tod und Verdammnis führen können.
Trotzdem Regisseurin Amélie Niermeyer, ein Import vom Münchner Residenztheater, selbst jung ist und ihren jungen Darstellern so viel Jugendlichkeit in die Darstellung legt, wirkt das ganze Hebbelsche Trauerspiel in ihrer Inszenierung doch eher altertümlich. Außer dem schönen Raum mit seinem brutal eingesenkten ersten Stock von Martin Zehethuber bricht eigentlich nichts ein in den dauernden Fluß der Erzählung. Und von Aktualisierung kann man trotz der Topfenfrische der Liebenden eigentlich nur in Anbetracht der zwei Heizkörper aus dem 20. Jahrhundert sprechen. Alles andere bleibt im Rahmen stadttheatralischer Trockenheit mit guten Schauspielern, so daß die Langeweile noch unterhält.
Historische Simulation aber wird es nicht, weil die junge Generation nicht die Motive der Tragödie aufweist, Neuinterpretation zeitloser Konflikte will aber im wagnisfreien Raum auch nicht recht wurzeln. Also geht es niemandem ans Herz, wenn die Frauen sinnlos sterben und die Männer die Welt nicht mehr verstehen. Es bleibt eben alles im Schwerelosen.
Till Briegleb
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