: „Arschloch? – Ich nix verstehn!“
■ Wegen Beleidigung eines Vollzugsbediensteten verurteilt
„Arsch“ oder „Arschin“? Das war am Mittwoch in einem Prozeß vor dem Landgericht die spannende Frage. Angeklagt war der 30jährige Russe jüdischer Herkunft, Gregorij St. Wie der Chef einer Autoschieberbande sieht der schmächtige Mann nicht aus. Eher wie ein Student, der in verrauchten Caféhäusern über den Sinn des Lebens philosophiert. Greogrij St. ist von Beruf Bauingenieur. Als solcher hat er aber nie gearbeitet, seit er 1991 als sogenannter Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen ist. Statt dessen knackte er hochwertige Autos, die er von russischen Militärflughäfen aus nach Rußland verschubte.
Doch Mitte 1994 schlugen hinter ihm und seinen Mittätern in der Moabiter U-Haft die Zellentüren zu. Gregorij St. schmorte monatelang in Einzelhaft, damit er keine Absprachen mit seinen Bandenmitgliedern für den anstehenden Prozeß treffen konnte. Im Mai, als er im Innenhof wieder einmal einsam seine Runden drehte, erwischte ihn der Justizvollzugsobersekretär L. dabei, wie er auf russisch etwas zu den vergitterten Fenstern hinaufrief. Der Beamte forderte Greorij St. auf, dies sofort zu unterlassen. Als der Gefangene nicht hören wollte, brach der Justizvollzugsobersekretär den Hofgang ab. „Du Arschloch“, schnaubte ihn der ins Haus geschickte Russe wütend an.
Erst jetzt kam der Fall vor Gericht. Zwischenzeitlich war Gregorij St. wegen bandenmäßigem Kfz- Diebstahls zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Mit einem treuherzigen Augenaufschlag beteuerte der Russe den Richtern jetzt mit Hilfe eines Dolmetschers, den Beamten keinesfalls als „Arschloch“ betitelt zu haben. Vielmehr habe er das russische Wort „Arschin“ benutzt, was soviel heiße wie „mehr als drei Meter“. Damit habe er dem Beamten klar machen wollen, daß er sich bei dieser Entfernung sowieso nicht mit den Gefangenen in den Zellen verständigen könne.
Danach trat der Justizvollzugsobersekretär L. in den Zeugenstand. „Er hat zu mir ,Du Arschloch‘ gesagt“, erklärte L. „Sind Sie da ganz sicher?“ fragte der Vorsitzende Richter Lindemann. „Das Wort Arsch kommt ja auch in Arschin vor.“ Der Zeuge war sich sicher, schließlich höre er solche Beleidigungen öfter. Ob er auch wirklich das deutsche Wort „Loch“ verstanden habe, ließ Lindemann nicht locker. „Ja, mir ist durchaus bekannt, was das bedeutet“, erwiderte der Zeuge leicht gequält. Außerdem könne er auf russisch zählen, aber der Begriff „Arschin“ sei ihm gänzlich unbekannt.
Damit war für das Gericht der Fall klar. Vielleicht wolle er noch etwas sagen, versuchte Lindemann den Angeklagten zu einem Geständnis zu überreden. Und tatsächlich räumte Gregorij St. das Wörtchen nach kurzem Zögern ein. Das Gericht bildete aus dem alten Urteil und dem neuen eine Gesamtstrafe von vier Jahren und sieben Monaten. Damit kosteten den Russen das „Arschloch“ und zwei gestohlene Autos einen zusätzlichen Monat Haft. Plutonia Plarre
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