: „Kunst macht mich nervös“
Raymond Pettibon ließ in der Hochschule der Künste über Modigliani, Morrison, McCarney, den Maler und das Modell lesen ■ Von Brigitte Werneburg
Die erste Frage, die schließlich an Raymond Pettibon ging, lautete schlicht und ergreifend: „Und warum haben Sie uns die Videos nicht gezeigt?“ Worauf er meinte: „Well, offen gestanden, weil es sie nicht gibt. – Noch nicht gibt.“ Was die Besucher von den Videos gesehen hatten, war deren mehr oder eigentlich minder szenische Lesung. Das ging einigermaßen gegen die Erwartungen an das Künstlergespräch, das seit 1989 von Interflugs, dem autonomen Studentenprojekt an der HdK, organisiert wird und üblicherweise aus Selbstauskünften der KünstlerInnen zu ihrer Arbeit und ihrer Person besteht. Statt Dia- oder Videovortrag pickte sich der kalifornische Künstler am Mittwoch abend die erstbesten Besucher heraus und begann mit ihnen – zu arbeiten.
Zunächst versicherte aber Shaun Caley, Pettibons eloquente Begleiterin, die von seiner Galerie in Los Angeles für ihn abgestellt worden war, sie sei nicht er. Das war nicht schwer zu sehen, aber manchmal schwer zu glauben, weil er ihr grummelig, aber nicht unfreundlich Moderation und Aktion überließ. Die Eröffnungslesung übernahm Pettibons Berliner Galerie Contemporary Fine Arts: Von zustimmendem Gelächter ermutigt, gab Bruno Brunnet Jim Morrison und Nicole Hackert das Groupie, mit dem er auf dem Campus der UCLA unterwegs war. „All the real artists are doing film, or nothing at all.“ Das durfte man dann als eine Selbstaussage Pettibons verstehen. Die sich übrigens auch in seinen Zeichnungen findet. Etwa wenn Pettibon – neben Mike Kelley oder Paul McCarthy Star der Kunstszene von Los Angeles – über drei Hippie-Mädels den Satz vermerkt: „I want Peter Fonda to play Charlie.“
Charlie ist Charles Manson, den Raymond Pettibon für die Ausstellung „Sex & Crime. Von den Verhältnissen der Menschen“, die am Sonntag in Hannover eröffnet wird, gerade im Sprengel-Museum an die Wand gemalt hat.
Daß Raymond Pettibon Peter Fonda für seine Videoprojekte nicht bekommt, macht deutlich, daß er – anders als etwa sein Künstlerkollege Robert Longho, der mit Keanu „Johnny Mnemonic“ Reeves memotechnisch gesehen einen Flop landen durfte – weiterhin Underground ist. Für die fünf Videos, die Pettibon bislang machte, gibt er freimütig Auskunft, hatte er „null Budget. Und so sehen sie aus.“ Aber er versteht sich auch eher als Schreiber, wenn er vom Film spricht. Und das Sprechen und Schreiben geht über Kunst. Modigliani ist ebenso Thema wie Beatle Paul McCartney oder der Maler und sein Modell. Im letzten Videoscript des Abends, das sich Cary Grant vorknöpft, der einen Jungen – dessen Part der Künstler übernahm – von der Straße aufliest, um mit ihm Sex zu haben, wird deutlich, was Pettibon von Hollywoods „Friedhof der Sprache“ hält: „Der Plot ist so fürchterlich, daß er nicht mal als Weichzeichner taugt, um Mary Pickford ihr Gesicht zurückzugeben.“ Pettibon jedenfalls gab Cary Grant sein Gesicht als „(Ich war eine) männliche Kriegsbraut“ in ziemlich geschärfter Form zurück.
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