Krieg der Metaphern

Götz Friedrich in Klausur, Käthe Reichel wettert gegen die Demokratie: Kulturniks sind wegen Entwurf zum Nachtragshaushalt schockiert  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Was ist das Gegenteil des Gießkannenprinzips? Das Rasenmäher-Prinzip. Die beliebteste Metapher der vergangenen Woche ist dem Senatsentwurf des Nachtragshaushalts entsprossen. Für die kulturellen Einrichtungen Berlins – Theater, Museen, Bibliotheken und Stiftungen – sieht dieser Zuschußkürzungen in Höhe von insgesamt 19,6 Millionen Mark (von über einer Milliarde Mark) vor. Daß alle sich einschränken müssen, ist der Preis dafür, daß keine Institution geschlossen wird.

Etwa eine Million Mark Subventionen wurden unter anderem der Komischen Oper, dem Berliner Ensemble und der Schaubühne gestrichen, dem Theater des Westens sogar 1,5 Millionen. Die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und die Stadtbibliothek Berlin müssen mit zusammen 800.000 Mark weniger rechnen als geplant. Die zahlreichen freien Theatergruppen, die ohnehin schon sehr knapp gehalten werden, büßen mit fast einer Million Mark ein Zwölftel ihres Etats ein. Der Rat für die Künste – ein Gremium aus Vertretern von 150 kulturellen Einrichtungen in Berlin – sieht die Kulturlandschaft schon verdorren: „Wenn man Gras abmäht, muß man sicher sein, daß etwas nachwächst“, fordert Georg Quander, Intendant der Staatsoper. Doch hier werde „Salz in die Erde gestreut“.

„Wir mähen, aber wir düngen auch“, behauptet dagegen der Sprecher der Kulturverwaltung, Lutz Nebelin. „Wir wollen nicht, daß das Gras so hoch wächst, daß es verfilzt.“ Einig sind sich die Parteien in diesem Metaphernkrieg nur darin, daß tatsächlich gespart werden muß. Auch der Rat für die Künste weiß das, hat jedoch selbst bislang keine konkreten Sparvorschläge erarbeitet. Das 1994 gegründete Gremium hat es stets als Hauptziel betrachtet, mehr Geld aus Bonn für die Berliner Kultur zu beschaffen – und zum Teil auch Erfolg gehabt. Für dieses Jahr hat der Bund immerhin 60 Millionen Mark „Hauptstadt-Kulturförderung“ lockergemacht, aus denen zwei Opernhäuser, das Deutsche Theater, die Berliner Philharmoniker und das Haus der Kulturen der Welt mitfinanziert werden sollen. Mehr aber ist in Bonn zur Zeit offenbar nicht zu holen.

Der Rat für die Künste hat den Berliner Kulturpolitikern nun eine Reihe von Forderungen präsentiert:

1. Der 10 Millionen schwere, vom Bund mitfinanzierte „Hauptstadt-Kulturfonds“ solle, wie ursprünglich geplant, nur für zeitlich begrenzte Projekte verwendet werden (1996 fließt das Geld größtenteils in regelmäßige Veranstaltungen des Landes wie das Theatertreffen).

2. Alle Entscheidungen über Sparmaßnahmen sollten den Kulturinstitutionen sofort mitgeteilt werden.

3. Die Kulturverwaltung solle endlich mit dem Rat für die Künste gemeinsam über „intelligentes Sparen“ diskutieren.

Beide Seiten haben sich damit jahrelang Zeit gelassen. Dann war es zu spät, das riesige Defizit erforderte rasches Handeln. „Wir hätten auch lieber erst Konzepte entwickelt, aber wir mußten den Nachtragshaushalt in zwei Wochen fertigstellen“, gibt Lutz Nebelin zu.

Die Eile, bedingt auch durch die verspätete Regierungsbildung, führte zu einem peinlichen Versäumnis: 70 Millionen Mark Zuschüsse wurden in den ersten Entwurf schlicht nicht aufgenommen. Philharmoniker, Konzerthaus, Märkisches Museum und Berlin- Museum werden nämlich nicht mehr mit genauen Personal- und Sachkosten im Haushalt aufgeführt, sondern erhalten pauschale Zuschüsse. Die ursprünglich geplanten Subventionen wurden deshalb aus dem Etat gestrichen – die Pauschalsummen aber nicht an anderer Stelle eingefügt. Die Panne ist inzwischen behoben.

Andere Unklarheiten bleiben: Noch immer steht nicht fest, wer Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten wird. Der kompetente Wunschkandidat von Peter Radunski kann aufgrund der Sparmaßnahmen seinen Posten wohl nicht antreten. Die Zusammenlegung von Senatsverwaltungen hat zwei Staatssekretäre überflüssig gemacht – einer davon soll ins Kulturressort wechseln. Spareffekt: 12.000 Mark pro Monat.

Weil über sämtliche Zuwendungen noch im einzelnen verhandelt wird, steht der Kulturetat für 1996 noch nicht fest. Voraussichtlich wird er aber gegenüber dem Vorjahresetat von 1,1 Milliarden Mark leicht anwachsen – trotz aller Kürzungen. Denn die Tarife im öffentlichen Dienst, dem die Angestellten der Museen und Bibliotheken, die Bühnenarbeiter und die Verwaltungskräfte der Theater angehören, erhöhen sich jährlich um etwa 3 Prozent. Dadurch steigen die Kosten für die Kultur unaufhaltsam: 80 bis 90 Prozent des Etats einer Institution gehen für Gebäude und Personal drauf, nur 10 bis 20 Prozent bleiben für die kulturelle Arbeit – für Gagen, Bühnenbilder, Ausstellungen und Neuanschaffungen.

Die jetzigen Einsparungen betreffen nur diese sogenannten „konsumptiven Ausgaben“, denn die Fixkosten lassen sich nur langfristig senken. Obendrein müssen die Theater den durch die Tariferhöhungen entstehenden „Mehrbedarf“, den sonst immer das Land Berlin getragen hat, in diesem Jahr aus ihren normalen Etats finanzieren. Auch hier können sie wieder nur auf die Mittel für die eigentliche künstlerische Arbeit zurückgreifen.

Wenn lange auf diese Weise gespart wird, verkommen kulturelle Einrichtungen zum reinen Selbstzweck, zum sich selbst nährenden Apparat: zu Theatern ohne Aufführungen, Bibliotheken ohne neue Bücher, Museen ohne Ausstellungen. Strukturelle Veränderungen sind deshalb unbedingt notwendig. Das meint auch der Rat für die Künste. Allerdings muß dieses Gremium erst noch beweisen, daß es wirklich zu Veränderungen bereit ist.

„Jede Lobby kann doch mit eigenen Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen, das habe ich beim Rat für die Künste in den letzten Monaten vermißt“, meint die kulturpolitische Sprecherin der SPD- Fraktion im Abgeordnetenhaus, Irana Rusta. Die Fraktionen von SPD und CDU sind sich darin einig, daß sie die aufgeblähten Apparate der großen Häuser verkleinern wollen.

Die Institutionen dagegen zeigen sich eher unbeweglich. Die Opernhäuser zum Beispiel, die in diesem Jahr zusammen etwa 245 Millionen Mark verbrauchen, stimmen bislang weder ihre Programme miteinander ab, noch könen sie sich mit dem schon Jahre alten Vorschlag anfreunden, ihre drei Ballette zusammenzulegen.

Bei der Komischen Oper, die während der Diskussionen zum Nachtragshaushalt schon auf der Abschußliste stand, regiert die nackte Angst: Der Intendant möchte mit der Presse über Einsparungen gar nicht sprechen. Und Götz Friedrich, Intendant der Deutschen Oper, scheint erst jetzt die Härte der Situation begriffen zu haben. „Der Professor ist in Klausur“, erklärt seine Assistentin. „Er denkt nach, wie die Lage zu bewältigen ist.“

Wenn ihm etwas einfällt, wird er offene Ohren finden. Denn am Dienstag haben sich Mitglieder des Rats für die Künste und der Kulturverwaltung doch noch zusammengefunden, um gemeinsam über „intelligentes Sparen“ zu diskutieren. Die Ergebnisse können allerdings erst für den Haushalt 1997 berücksichtigt werden. Die Kulturverwaltung plant, Teile der Einrichtungen spartenweise zusammenzufassen: Die Opern sollen zum Beispiel ihre Verwaltungen zusammenlegen, ein gemeinsames Marketing entwickeln und sich Fundus, Fuhrpark und nicht zuletzt ein Budget teilen.

Vor dem Gerangel ums gemeinsame Budget scheuen die Kulturschaffenden zurück. Aber einige von ihnen haben durchaus Ideen, wie man die Ausgaben verringern könnte. Schaubühnendirektor Jürgen Schitthelm etwa denkt daran, aus Bühnen- und Beleuchtungstechnikern aller Theater eine Art „mobile Eingreiftruppe“ zu bilden, die in den Spitzenzeiten vor Premieren aushelfen könnte. Das würde die Zahl der Aushilfskräfte und Überstunden verringern. „Eine weitere Möglichkeit wäre ein gemeinsamer Einkauf von Dingen, die alle Theater brauchen.“ Wenn Scheinwerfer, Kabel und Material für Kulissen und Programmhefte en gros geordert würden, ließen sich höhere Rabatte erzielen.

Charlotta Flodell, Leiterin der AGB, plädiert für eine kostengünstige Konzentration der einzelnen Bibliotheken auf bestimmte Themen und Sachgebiete: „Wir müssen weg vom Gemischtwarenladen.“ Die AGB hat in diesem Jahr 300.000 Mark weniger für Anschaffungen, das entspricht fünftausend Büchern. Gebühren für Bibliotheksnutzer – wahrscheinlich etwa 20 Mark pro Jahreskarte – sollen im Frühjahr eingeführt werden. „Ich finde das nicht verkehrt“, sagt Charlotta Flodell, „aber die Bibliotheken sollten mit diesen Einnahmen selbst wirtschaften dürfen.“

Auch die Theater könnten mehr verdienen, durch Kooperation im Kartenverkauf, vielleicht durch den Verkauf von Merchandising- Produkten – oder gar durch angegliederte Spielcasinos, wie es der Friedrichstadtpalast überlegt.

Nüchtern betrachtet, setzt die Spardebatte also viel Kreativität frei. Aber es gibt auch reichlich Hysterie: Käthe Reichel bejammerte in einer Rede gegen die unsinnige Eingliederung der Ernst- Busch-Schauspielschule in die HdK eine „röchelnde Demokratie“, deren Wesen „Konkurrenzkampf bis zum Tod“ sei. Knapp kriegte die siebzigjährige Schauspielerin die dialektische Kurve: Wenn der Senat nun den Konkurrenzkampf zwischen den beiden Hochschulen aufhebe, dann „sind wir nach sechs Jahren wieder in der Diktatur angelangt“.

Alle, wirklich alle wollen nun mitgärtnern in der Berliner Kulturlandschaft. Aber vielleicht kann nach dem Mähen ja trotzdem noch ein schöner grüner Rasen daraus werden.