: Kommoder Lebenswandel
In ihren vierzehn Jahren Laufzeit, von 1959 bis 1974, wurde die Westernserie „Bonanza“ Kult – und einer der Genreklassiker schlechthin ■ Von Harald Keller
Als hübscher Running Gag durchziehen den Kinofilm „Tin Men“ (USA 1987), den zweiten Teil von Barry Levinsons Baltimore-Trilogie, die Spekulationen der streitbaren Blechfassadenverkäufer über das Zusammenleben der Familie Cartwright. In der Tat müssen die Familienverhältnisse auf der Ponderosa einigermaßen suspekt erscheinen. Da haust also ein lustiger Witwer mit seinem Koch und drei Söhnen, jeder von einer anderen Frau geboren, von denen aber auch nicht eine überlebt hat.
Wäre „Bonanza“ ein TV-Movie unserer Tage, so läge ganz gewiß ein dunkles Geheimnis in einer derart ominösen Vergangenheit verborgen. In den Fünfzigern aber, als diese Westernserie erdacht wurde, galt das Patriarchentum noch als natur- oder, je nach Weltanschauung, gottgegeben, es war demnach unumstritten und ermöglichte den einschlägig privilegierten Herrschaften, zumal mit 1.000 Quadratmeilen Land im Rücken, ohne Frage einen recht kommoden Lebenswandel.
Mitte der fünfziger Jahre gab die US-amerikanische Filmindustrie den Boykott des Fernsehens auf und suchte statt dessen vom neuen Medium zu profitieren. Damit änderten sich die Programmangebote in erheblichem Maße. Die anthologischen Reihen mit vornehmlich eigens für die TV-Ausstrahlung geschriebenen Stücken wurden nach und nach eingestellt und durch episodische Serien ersetzt. Vor allem Westerngeschichten erfreuten sich größter Beliebtheit beim Publikum, sie konnten überdies vermittels der bestehenden Infrastruktur der B-Movie- und Kinoserialproduktion zu den seitens der Networks vorgegebenen Discountpreisen hergestellt werden.
War 1954 noch keine Westernserie in der Top-Ten serieller Formate verzeichnet, notierte man 1959 dagegen gleich fünf. Insgesamt standen zum Ende des Jahrzehnts allein in der Prime time 32 verschiedene Westernserien zur Wahl. Der Nachzügler „Bonanza“ zählte zu einer neuen Generation von Westernserien, die als „adult western“ geführt wurden. Mit dieser vergleichsweise elaborierten Variante emanzipierte sich die Gattung von den Standardformeln der jugendorientierten Abenteuerwestern. Ein Familienverbund oder eine familienähnliche Personenkonstellation ersetzte die famosen Matineehelden „Hopalong Cassidy“ (USA 1949-1951), „Zorro“ (USA 1957-1959) oder „Wild Bill Hickock“ (USA 1951-1958).
Serien wie „Rauchende Colts“ (USA 1955-1975) und „Bonanza“ – mit Laufzeiten von zwanzig respektive vierzehn Jahren die Genreklassiker schlechthin – machten zwischenmenschliche Beziehungen, seelische Konflikte, soziale Probleme zum Thema. „Bonanza“ war „teils Seifenoper, teils Pferdeoper, und es funktionierte“ (Andrew J. Edelstein). Für die Handlungsabläufe der einzelnen Episoden waren die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der Cartwright-Brüder sehr von Nutzen.
Adam, der Typizität wegen immer dunkel gekleidet – was nebenbei die Abkehr vom wörtlich zu nehmenden Schwarz-Weiß- Schema früherer Western markiert –, gab sich als Ältester besonnen und introvertiert. Der gemütliche Hoss – der Name stammt aus dem Norwegischen und steht für „viel Glück“ – war ein geistig eher unbewegliches Schlachtroß mit dem Gesicht eines wohlgenährten Cherubims, Little Joe hingegen ein Heißsporn, der sich schnell in Händel verwickeln ließ und dem anderen Geschlecht recht zugetan war, was allerdings Vater Ben nicht gern sah.
Über die Jahre wurden die Mitwirkenden von einigen schweren Schicksalsschlägen getroffen. Pernell Roberts hatte 1965 genug von der strapaziösen Serienproduktion und hängte Pferdehalfter und Hut samt Toupet an den Nagel. Nach einigen mageren Jahren kehrte er 1979 als Hauptdarsteller des „M.A.S.H.“-Ablegers „Trapper John, M.D.“ (USA 1979-1986) auf den Bildschirm zurück.
Tragischer war der Abgang Dan Blockers, der 1972 im Alter von vierzig Jahren unerwartet verstarb. Im Jahr darauf wurde die Serie eingestellt. Der wertkonservativ eingestellte Michael Landon, der noch in gehobenem Alter über das jungenhafte Aussehen des kleinen Joe verfügte, setzte seine Karriere als Produzent und Hauptdarsteller der Serien „Unsere kleine Farm“ (USA 1974-1983) und „Ein Engel auf Erden“ (USA 1984-1989) fort, schrieb auch Drehbücher und inszenierte. Er erlag 1991 einem Krebsleiden.
Lorne Greene war in den Siebzigern unter anderem in „Griff“ (USA 1973-1974) und in „Kampfstern Galactica“ (USA 1978-1980) zu sehen. Er wechselte 1987 in die ewigen Jagdgründe, wo inzwischen drei Viertel der Gutmenschenfamilie wiedervereint sein dürfte.
Vorabdruck aus Harald Keller: „Kultserien und ihre Stars“. Bertz Verlag, Berlin 1996, 156 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ca. 24 DM. Das Buch erscheint voraussichtlich am 16. April
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