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Demo ist kein Generalstreik

■ Die Großdemonstration morgen in Bonn wird nicht die letzte Protestaktion sein, meint der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte

taz: Herr Schulte, Bundeskanzler Kohl hat in den letzten Tagen angekündigt, er werde sich auch durch Großdemonstrationen wie die morgen in Bonn nicht von seinem Kurs abbringen lassen. Was will der DGB tun, wenn es bei dieser Ankündigung bleibt?

Dieter Schulte: Es wird nicht bei einer Demonstration bleiben. Nach der Resonanz der letzten Wochen und der Zustimmung, die wir auch aus Kreisen der CDU erfahren haben, bin ich zudem der Überzeugung, daß Helmut Kohl im Bundestag wohl Probleme haben wird, mit seiner Kanzlermehrheit zurecht zu kommen. Mit Blick auf die Bundestagswahl 1998 setzt Kohl auf die Vergeßlichkeit der Menschen. Wie werden dafür sorgen, daß er damit nicht durchkommt und die Folgen dieses verhängnisvollen politischen Kurses immer wieder thematisieren. Dazu brauchen wir einen langen Atem – und den haben wir.

Die Demo wird auch von einer studentischen Initiative gegen den Sozialabbau mitgetragen. Deren Sprecher Petersen fordert vom DGB die Vorbereitung „umfassender politischer Streiks gegen das Sparpaket“. Gleichzeitig müsse der Vorschlag für ein Bündnis für Arbeit „mit Kohl und Kapital endgültig vom Tisch“. Wollen Sie den Tisch nun abräumen?

Nein, auf keinen Fall. Das Bündnis für Arbeit wird weitergehen. Zur Zeit nicht auf nationaler Ebene, aber in den Regionen und Unternehmen. Fast täglich werden in den Betrieben konkrete Vereinbarungen abgeschlossen, die dazu führen, daß Beschäftigung gesichert wird und zusätzliche Einstellungen, z. B. über den Abbau von Überstunden, auch wieder möglich werden. Zur weiteren Strategie ist für uns aber eins klar: Die deutschen Gewerkschaften werden keinen Generalstreik gegen eine gewählte Regierung führen. Über Regierungen entscheidet in einer Demokratie das Volk am Wahltag. Und da gehört die Entscheidung hin.

Kritik an den Bündnisrunden im Kanzleramt kam auch aus Ihren Reihen. Bei der Demonstration am 1. Mai sind Sie in Berlin ausgepfiffen worden. Waren Sie zu nachsichtig mit Kohl?

Das glaube nicht. Wir sind bei diesen Gesprächen zwar bis an die Grenzen unserer Kompromißfähigkeit gegangen, aber ich habe immer gesagt, wir sind im Fall des Scheiterns auch konfliktfähig. Diese Situation haben wir nun. Ich bleibe dabei: Der Versuch, einen beschäftigungsfördernden Konsens zu finden, war richtig. Und den können sie nur gemeinsam mit den Arbeitgebern finden. Begleitende Maßnahmen der Politik hätten dabei wirksam helfen können. Wir können als Gewerkschaften keine Arbeitsplätze gründen.

In Deutschland gehen monatlich Tausende von industriellen Arbeitsplätzen verloren. Das Kapital wandert dorthin, wo der größte Profit winkt. Nationale Schranken spielen kaum noch eine Rolle. Gibt es ein gewerkschaftliches Rezept gegen die zunehmenden Unternehmensverlagerungen?

Die Analyse ist falsch. Wir verlieren in dem behaupteten Umfang keine Industriearbeitsplätze, sondern der Abbau resultiert vor allem aus einer Outsourcing-Politik der Industrieunternehmen. Diese Verselbständigung von Betriebsteilen hat lediglich statistisch zu einem riesigen Plus im Dienstleistungsbereich geführt.

Die Verlagerung in Billiglohnländer ist doch ein Fakt.

1995 wurden 84% der deutschen Auslandsinvestitionen in anderen Industrieländern angelegt. Knapp 5% gingen in die früheren Staatshandelsländer, nur 1,4 % in die Schwellenländer. Das Gerede von der Abwanderung in die Billiglohnländer ist eine – wider besseres Wissen – verbreitete Mär.

Die Unternehmensverbände haben die jüngsten DGB- Vorschläge zur Krisenlösung als Krisenverstärker bezeichnet. Die Abwanderung würde dadurch forciert werden.

Die Zusammenhänge werden von den Verbandssprechern auf den Kopf gestellt. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn der größte Automobilhersteller in Deutschland, das Volkswagenwerk, die Differenz beim US-Dollar zwischen 1,50 Mark und 1,60 Mark mit den Instrumenten der Tarifpolitik auffangen wollte, müßte man bei VW die Gehälter um neun Prozent reduzieren. Das Beispiel zeigt doch, wie begrenzt Lohnerhöhungen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt tangieren.

Der Sockel an Arbeitslosigkeit nimmt nach jeder Konjunkturkrise zu. Glauben Sie, daß angesichts dieser Entwicklung diejenigen in den Gewerkschaften wieder an Boden gewinnen werden, die Lösungen nur von einer Wirtschaftsordnung jenseits des Kapitalismus erwarten?

Ich schließe das nicht aus, denn wenn es bei dieser Arbeitslosigkeit, der ungerechten Verteilung der Lasten und der sozialen Schieflage in unserer Gesellschaft bleibt, stellen die Menschen doch zwangsläufig die Frage nach der Funktionsfähigkeit des Systems. Ich bin allerdings nach wie vor der Meinung, daß wir versuchen müssen, mit den uns zur Verfügung stehenden Instrumenten in diesem System unsere Ziele voranzubringen. Das ist meine Botschaft.

Der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, hält eine Bruttolohnsenkung von rund 20% für nötig, um wieder die Vollbeschäftigung in Deutschland zu erreichen. Sind Sie überzeugt?

Dieser Blödsinn, den schon die Arbeitgeber seit Monaten propagieren, bleibt auch dann Blödsinn, wenn ein Banker so daherredet. Wir sind ein Hochlohnland und müssen das bleiben. Die Lohnkonkurrenz mit den Billiglohnländern können wird nicht gewinnen. Würden wir uns darauf einlassen, geriete unsere ganze Volkswirtschaft in einen gefährlichen Abwärtsstrudel, der die ganze Gesellschaft nach unten zöge. Solche Vorschläge sind schlicht absurd. Interview: Walter Jakobs

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