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Zum Zwecke der Empörung

Inzest und Chöre: Filme zum Papstbesuch im Arsenal  ■ Von Julie Annette Schrader

Im Arsenal dröhnt es. Kirchenorgeln lassen den Kinosaal vibrieren, Prozessionen ziehen auf der Leinwand vorbei, Marienfiguren in Großformat. Am 23. Juni kommt der Papst nach Berlin, und um die kritische Auseinandersetzung mit diesem Ereignis zu fördern, veranstaltet das Arsenal seit gestern die Filmreihe „Zum Papst- Besuch!“. Das Auswahlkriterium läßt sich leicht zusammenfassen: Hauptsache viel Katholizismus und viel Blasphemie.

Während man die Aufklärungsfilme der 60er Jahre eher belächelt und der marxistische Gehalt surrealistischer Versuche politisch längst überholt ist, haben die antiklerikalen Filme derselben Zeit nichts von ihrer Brisanz verloren. Denn sie wenden sich gegen ein System, das den Wertewandel der Gesellschaft nicht mitgemacht hat. Nach wie vor gilt: Sexverbot für Priester, christliche Barmherzigkeit als Allheilmittel und – klar – no condoms.

Die Filmreihe im Arsenal ist Teil eines Programms des Humanistischen Verbands Deutschlands, eine Interessensvertretung Konfessionsloser. Außer der Filmreihe finden Lesungen statt, eine Karikaturenausstellung zum Thema „Madonna und der Papst – Frauen und Kirche“ wurde gestern im Flip-Frauenladen eröffnet, und außerdem gibt es am 24. Juni von 10–18 Uhr eine Telefon-Hotline zum „Kirchenaustritt“.

Überwiegend bietet das Programm der Filmreihe alte Bürgerschreckfilme von Buñuel und Pasolini. Während der erste Film von Buñuel, den er 1928 zusammen mit Dali in Paris drehte, „Der andalusische Hund“, noch unerwarteten Beifall von seiten der bürgerlichen Presse bekam – Buñuel hatte sich eigentlich aus Angst vor der Wut des Auditoriums mit Steinen in den Taschen ausgestattet, um Angriffe abzuwehren –, schaffte er es mit „Viridiana“ (1961), wirkliche Empörung hervorzurufen: Der Film fiel 1963 in Spanien unter die Zensur und durfte nicht einmal erwähnt werden.

Blasphemischer geht es tatsächlich kaum: Die Novizin Viridiana besucht vor ihrem Eintritt ins Kloster ihren Onkel, den sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hat. Der Onkel ist ein Fetischist, der nachts den Koffer mit den Hochzeitskleidern seiner verstorbenen Frau hervorholt, mit einem Bustier vor dem Spiegel posiert und in Pumps schlüpft. Vor ihrer Abreise bittet er Viridiana, die Kleider für ihn zu tragen. Ihre Schönheit wird ihr zum Verhängnis: Er betäubt sie und gibt am nächsten Morgen vor, sie mißbraucht zu haben, damit sie bei ihm bleibt. Als sie dennoch geht, erhängt er sich. Die Verkleidung der Nonne als Braut kurz vor ihrer Einsegnung, inzestuöse Begierden und Perversion gemischt mit Chören aus Händels Messias – das ist nur der Anfang. Später kommt es zu anarchistischen Orgien, die Bettler auf dem Gut des Onkels feiern. Wie bei Leonardo da Vincis Abendmahl gruppieren sie sich um einen langen Tisch, ein Aussätziger nimmt den Platz Christi ein, ein Hahn kräht.

Ätzend ironisch ist auch Buñuels „Simon del Desierto“, in dem der syrische Säulenheilige aus dem 5. Jahrhundert in ein dröhnendes Tanzlokal im New York der 60er Jahre versetzt wird. „La Ricotta“ von Pasolini hingegen zeigt einen ewig hungrigen Statisten, der während der Dreharbeiten zu einem Religionsepos nach längerem Leiden seinen Hunger stillt, sich überfrißt und am Kreuz stirbt. Der Film brachte Pasolini immerhin eine Gefängnisstrafe wegen Gotteslästerung ein.

Die neueren Filme der Reihe sind weniger provozierend als moralisierend. Bei „Der Priester“ (1994) von Antonia Bird läuft alles platter und konventioneller ab. Der smarte Greg wird als Priester einem heruntergekommenen Sozialabbauviertel Liverpools zugeteilt, gerät dort als katholischer Linientreuer in Konflikt mit seinem Schwulsein, das er zwar auslebt, aber nicht akzeptieren kann. In die ohnehin schon problembeladene Handlung wird noch der Fall einer Kindesmißhandlung eingebaut, der Greg tatenlos zusieht, um nicht gegen das Beichtgeheimnis zu verstoßen. Ein Melodram, in dem es nur totalen Antiklerikalismus und katholische Obrigkeitshörigkeit gibt.

„Confessional“ von Robert Lepage nimmt sich der gleichen Thematik an. Immer sind es die unbefriedigten Priester, die unter den repressiven Geboten der katholischen Kirche leiden.

Den Abschluß der Filmreihe bildet abermals ein alter Film. „Mutter Johanna von den Engeln“ (1961) ist vielleicht der anarchistischste von allen. Nonnen eines Klosters sind offensichtlich vom Teufel befallen, und die Oberin liebt einen jungen Priester. Am 28. Juni gezeigt, ist dies der Film danach gegen das Süßholzgeraspel zum Papstbesuch.

Filme zum Papstbesuch, bis 28. 6., heute, 19 Uhr: „Viridiana“, morgen, 19 Uhr: „The Priest“, Arsenal, Welser Straße 25, Programmhinweise unter Tel.: 2 18 68 48

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