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In Aufruhr und Armut

■ In Bulgarien sind wirtschaftliche Reformen überfällig. Eine Fotoreportage von Christian Jungeblodt/Signum

In Bulgarien lebt es sich gar nicht gut in diesen Tagen. Das Land am Schwarzen Meer, dem südöstlichen Rande Europas, erlebt eine dramatische Währungs- und Wirtschaftskrise. Zum Monatsbeginn wurden die Verbraucherpreise drastisch erhöht. Die Kosten für Benzin und Strom stiegen um mehr als das Doppelte, Post- und Telefongebühren um 20 bis 40 Prozent. Die Mehrwertsteuer wurde von 18 auf 22 Prozent heraufgesetzt. Ursache der Preissteigerungen ist eine kräftige Abwertung des Lev, der bulgarischen Währung. Die Folge: stündlich steigende Preise, unerschwingliche Importwaren. In diesem Jahr rechnet das Wirtschaftsblatt Pari mit einer Inflationsrate von 100 Prozent. Die Kaufkraft sinkt rapide. Schon vor drei Jahren lebten zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums. Der Durchschnittsverdienst der 8,5 Millionen Bulgaren liegt bei 150 Mark im Monat. Brot und Getreide sind Mangelware. Aufgrund einer schlechten Ernte fehlen rund eine halbe Million Tonnen Weizen. Obwohl die Industrieproduktion in diesem Jahr leicht gestiegen ist, machen mehr als die Hälfte aller bulgarischen Firmen nur Verluste. Das Land ist hoffnungslos überschuldet, wie zahlreiche seiner Banken.

Nach einem Bericht der Weltbank hinkt Bulgarien mit ökonomischen Reformen hinter den Nachbarländern her. Die Privatisierung sei auf die lange Bank geschoben worden, Manager hätten sich an Staatsunternehmen bereichert. Korruption und Kriminalität lähmen das Land.

Politisch regiert wird Bulgarien seit den Wahlen vom Dezember 1994 von einer absoluten Mehrheit der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), der Nachfolgepartei der Kommunisten. Die Sozialisten verfügen über 125 von 240 Parlamentssitzen. Auf die Union Demokratischer Kräfte (SDS), einer oppositionellen Sammlungsbewegung, entfielen 69 Sitze. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 1991 hatte die SDS noch 110, die BSP 106 Abgeordnete gestellt. Staatspräsident ist der Philosoph Schleju Schelew, ein Gründungsvater der antikommunistischen Opposition. Seine Amtszeit läuft Ende des Jahres aus.

Am Tag nach der Maueröffnung in Berlin wurde in Bulgarien die „sanfte Revolution“ eingeleitet. Die ersten freien Wahlen im Juni 1990 gewannen die Exkommunisten. Noch immer kontrollieren sie über ein Funktionärsnetz große Teile des Staatsapparates und der Medien. Ob die gegenwärtige fiskalische Roßkur echte Wirtschaftsreformen nach sich zieht, steht dahin. Den Menschen in Bulgarien wird es so bald nicht besser gehen.

Georg Baltissen

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