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Todesfalle in Exfleischerei!

■ Die Kulturfabrik verschwindet doch nicht im bürokratischen Bermudadreieck - vorausgesetzt natürlich, sie hält sich ihre Fluchtwege vorschriftsmäßig offen

Uwe Henk ist noch jung. Mageres Gesicht, flinke Augen, klarer Blick. Seit April ist der 29jährige Geschäftsführer des Vereins „Kulturfabrik Lehrter Straße 35“. Das Gebäude der einstigen Heeresfleischerei wurde nach 17jährigem Leerstand 1991 für die kulturelle Nutzung ausgebaut. Auf einer Fläche von 2.500 Quadratmetern entstanden ein Kinosaal, ein Konzertraum, Probenräume, Ateliers, eine Theaterbühne, ein Café, eine Galerie und ein Jazzclub. Träger des Objekts ist das Sozialpädagogische Institut, Eigentümer das Land Berlin, genutzt wird es von genanntem Verein. Das so entstandene bürokratische Bermudadreieck hält jedoch nicht mehr zusammen. Seit geraumer Zeit ist jeder sauer auf jeden.

Am 23. Mai kam die Bauaufsicht und begutachtete das Gebäude. „Die kamen jedes Jahr einmal vorbei und haben uns jedes Mal mündlich auf diese oder jene Mängel hingewiesen“, sagt Henk. Er und 20 festangestellte, sowie 130 ehrenamtliche Mitarbeiter haben entsprechend Jahr für Jahr an der maroden Fabrik herumgebastelt. Leider war unter den Mitarbeitern kein Fachmann, was dazu führte, daß ein Großteil der geleisteten Arbeit umsonst war.

Im Keller des Hauses befindet sich ein Klub- und Konzertraum, das ehemalige „Slaughterhouse“. Irgendwann wurde hier auch mal getanzt. Bands spielten ebenso, doch die Bauaufsicht stellte fest, daß eine Be- und Entlüftung des Raumes nicht vorhanden war und der Fluchtweg den Anforderungen nicht entsprach. Heute stehen nur noch verstaubte Bier- und Colaflaschen auf dem stillgelegten Bartresen.

Die Fluchtwege sind das größte Problem. 1,20 m breit müssen sie laut Vorschrift sein. Tatsächlich messen sie oft nur 80 cm. In allen fünf Etagen des Gebäudes, hatte die Bauaufsicht etwas zu beanstanden. In der vierten Etage, die bis vor kurzem von den Mitarbeitern des Vereins genutzt wurde, stieß sie sogar auf eine „Todesfalle“. Sie besteht aus einem Raum in einem Raum, ähnlich wie bei einer zusammengesteckten Matrjoschka. Einem Brand könnte man von hier aus kaum entkommen. Auch die hölzerne Kabine des Filmvorführers im Kinosaal muß durch nichtbrennbares Material ersetzt werden, und in den Künstlerateliers sind die Trennwände vorschriftswidrig.

Das Projekt Kulturfabrik hat nun gleich mehrere Probleme. Die Presse berichtete von einer „drohenden Schließung“. Baustadtrat Horst Porath (SPD) spricht davon, daß es jetzt kein Pardon mehr geben werde. „Ich habe der Kulturfabrik jahrelang Mahnungen geschickt, die wohl nur als Scherz aufgefaßt wurden.“ Dann weist er nicht ohne Stolz darauf hin, daß er einst den Abriß der alten Fleischfabrik abgewendet hat. Jetzt ist er doppelt enttäuscht. Sein Traum von einer blühenden Kulturlandschaft in der Lehrter Straße ist geplatzt.

Der Verein sieht das allerdings ganz anders. Uwe Henk spricht von einer „politischen Wende“, weil die Lehrter Straße seit Beginn des Jahres kein Sanierungsgebiet mehr ist. Dadurch fällt die Finanzierung aus Trägermitteln weg, und neue Investoren sind zur Zeit nicht in Sicht. Rückblickend meint der Baustadtrat jedoch, daß die Kulturfabrik nicht in der Lage gewesen sei, bereitstehende Fördermittel von über einer Million Mark in Anspruch zu nehmen. Die dazu notwendigen 15 Prozent Eigenkapital seien damals nicht aufgebracht worden. Die Kulturfabrik scheint jedoch nichts davon gewußt zu haben.

„Das ist glattweg eine Lüge. Hätten wir eine Million bekommen können, hätten wir uns auch darum gekümmert“, sagt wiederum Henk. Auch die 15 Prozent Eigenfinanzierung wären kein Problem gewesen. Allein die Arbeit der Mitarbeiter und aufgebrachte Eigenmittel seien nach Ansicht des Vereins schon rund 10 Millionen Mark wert. „Wir haben das einmal ausgerechnet. Jetzt bekommt das schwächste Glied der Kette die Schuld zugeschoben.“

Das Sozialpädagogische Institut, vom Senat als Treuhänder eingesetzt, hält sich zu den Vorwürfen bedeckt. Die Verantwortlichen befinden sich auf Dienstreisen oder im Urlaub. Andere Mitarbeiter lehnen eine Stellungnahme ab, weil sie sich nicht ungefragt äußern dürfen. „Das Klima zwischen SPI und Kulturfabrik ist abgekühlt. Die überlassen jetzt die ganze Arbeit dem Verein“, sagt Henk.

Die Zukunft der Fabrik ist allerdings noch lange nicht entschieden. Die angekündigte Schließung ist vorerst vom Tisch, da der Verein neue Bauanträge zur Behebung der Mängel an die Bauaufsichtsbehörde eingereicht hat. Nun hofft die Fabrik, daß sie spätestens im August eine positive Antwort bekommt. Anfang September will der Verein dann auch neue Investitionskonzepte vorlegen. „Dann gibt es sicher wieder ein Vor-, ein Nach- und ein Be-Treffen zwischen einzelnen Behörden“, meint Henk, für den das Hin und Her nicht nur ärgerlich, sondern auch Material ist: Im Herbst wird er seine Diplomarbeit im Fach Erziehungswissenschaften über das Projekt „Kulturfabrik Lehrter Straße“ schreiben. Frank Rothe

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