: Britisches Parlament setzt sich nicht auf Diät
■ Gegen den Wunsch der Parteiführer beziehen Abgeordnete bald 26 Prozent mehr
Berlin (taz) – Es war eine Revolte gegen den Moralismus. Mit 279 zu 154 Stimmen genehmigte sich das britische Unterhaus in der Nacht zu gestern eine Diätenerhöhung von 26 Prozent. Vergeblich hatten Premierminister John Major, Oppositionsführer Tony Blair und Liberalenchef Paddy Ashdown dagegengehalten.
Ab kommenden Juli verdient ein britischer Abgeordneter also ein Bruttojahresgehalt von 43.000 Pfund statt wie bisher 34.085 (101.910 statt 80.780 Mark). Die Idee dazu war im Januar entstanden, als 298 Parlamentarier eine unabhängige Überprüfung der Abgeordnetendiäten forderten – Folge der wiederholten Skandale der letzten Jahre über korrumpierende Nebenverdienste von Parlamentariern. Eine Kommission wurde eingesetzt, die einen bereits 1983 vorgelegten und damals abgelehnten Vorschlag für höhere Diäten einfach der Inflation anpaßte und so vergangene Woche auf 43.000 Pfund kam. Die Erhöhung sei nötig, so die Kommission, aus Gründen „der internationalen Vergleichbarkeit, der schweren Arbeitsbelastung, des Zuwachses von Lobbyarbeit und der Erwartungen aus den Wahlkreisen“.
Die meisten der 298 Abgeordneten, die die Diätenüberprüfung gefordert hatten, gehörten zu Labour – sie werden wohl anders als ihre konservativen Kollegen auch zum Zeitpunkt der Diätenerhöhung noch im Parlament sitzen. Zur unabhängigen Kommission gehörten unter anderem der Chef des Lebensmittelmultis Unilever, Sir Michael Perry (jährliches Grundgehalt 1,94 Millionen Mark).
Die Idee einer 26prozentigen Diätenerhöhung stieß sogleich auf öffentliche Empörung. Die Verfechter verwiesen zwar darauf, daß zugleich das bisher äußerst generöse Kilometergeld für Fahrten der Abgeordneten in ihren Wahlkreis, das bisher bei 74 Pence pro Meile (umgerechnet 1,09 Mark pro Kilometer) liegt und ohne Nachweis ausgezahlt wird, auf 47 Pence sinkt. Wenn man auch noch die höheren Steuern auf die höheren Diäten berücksichtige, würden von der Erhöhung ganze 200 Pfund im Jahr übrigbleiben.
Dennoch entstand ein kurioses Bündnis von Regierung und dem linken Flügel der Labour-Partei, das darauf drängte, das Parlament möge sich gegenüber der Öffentlichkeit sparsamer gebärden. So entstand ein Alternativvorschlag: Die Diäten steigen nur um drei Prozent, dafür bleibt das weniger sichtbare Kilometergeld unverändert.
Dieser von Major, Blair und Ashdown unterstützte Antrag wurde am Mittwoch abend von den Hinterbänklern aller Fraktionen abgelehnt. Es scheiterte auch die geradezu geniale Idee des Tory-Rechtsaußen John Carlisle, daß Abgeordnete, die für drei Prozent stimmen, auch nur drei Prozent bekommen sollen, egal wofür sich das Unterhaus letztendlich entscheidet. Dominic Johnson
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