: Dumm und undemokratisch
■ betr.: „Erfurter Erklärung“, taz vom 10. 1. 97
99 Prozent der Erklärung könnte ich ohne weiteres mittragen. Das betrifft insbesondere die Fragen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, die Fragen der außerparlamentarischen Bewegung und Demokratisierung und insbesondere die politischen Konsequenzen einer Ablösung der jetzigen Bundesregierung. Die ökonomische Analyse enthält allerdings einige grobe Ungenauigkeiten und Unzulänglichkeiten, die zu Fehldeutungen führen können.
Das betrifft insbesondere die Formulierung: „Die Schulden der einen sind die Gewinne der anderen.“ Das ist einfach falsch, denn die Schulden der einen sind die Vermögen oder Guthaben der anderen. Aus diesem Fehler resultiert auch ein zweiter Fehler bei der Finanzierung. Unumstritten ist, daß Geldtransfers, Großerbschaften, Vermögen, Spekulationen mit Grund und Boden spürbar mehr besteuert werden müssen. Fragwürdig ist hingegen, ob Gewinne stärker besteuert werden müssen.
Denn: Eine funktionierende Wirtschaft ist darauf angewiesen, daß die Wirtschaftsteilnehmer Gewinne erwirtschaften. Wenn Großunternehmer ihre Gewinne heute nicht oder nur unzureichend versteuern, dann liegt das einerseits an den Schlupflöchern im Steuerrecht und andererseits daran, daß nicht konsequent getrennt wird zwischen Erträgen aus unternehmerischer Tätigkeit, die erwünscht sind und Kapitalerträgen, die als leistungslose Einkommen die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern.
Gleichzeitig wird mit dieser in der Erklärung enthaltenen unsauberen Formulierung einmal mehr das Klischee der Wirtschaftsfeindlichkeit der Linken insgesamt bedient: Wer Gewinne anstrebt, ist an sich negativ. Oder noch mehr zugespitzt: Unternehmer sind negativ, Arbeitnehmer sind positiv. Diese überalterte Klassenkampflogik schimmert auch hier durch. Notwendig ist es statt dessen, endlich genau zwischen den Zuwächsen aus Vermögen und unternehmerischer Tätigkeit zu trennen. Erträge aus unternehmerischer Tätigkeit sind nämlich nur in geringerer Höhe als das Bruttosozialprodukt gewachsen, ähnlich wie Arbeitnehmereinkünfte. Was wirklich drastisch gewachsen ist, sind Einkünfte aus Vermögen. [...]
Auch wenn ich aus den vorgenannten Gründen die Erkärung nicht unterstützen werde, so sehe ich in ihr doch eine sehr wichtige Diskussionsgrundlage. Wichtig ist jetzt, daß nicht nur über den Machtwechsel an sich, sondern über Bestandteile einer veränderten Politik gesprochen und diskutiert wird. Eine Diskussion über die PDS bringt uns nicht weiter. Michael Rost, Pressesprecher
der Landtagsfraktion
B'90/Grüne. Der obige Text ist
jedoch eine Privatmeinung.
Eine Gruppe linker Intellektueller beschreibt einen gnadenlosen Umverteilungsprozeß von unten nach oben, wie er in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmalig ist. Gefordert wird eine Opposition, die sich diesem Prozeß entgegenstellt und Perspektiven für eine andere, eine der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete Politik entwickelt und womöglich durchsetzt.
Der Inhalt dieser Erkärung, so sollte mensch meinen, versteht sich von selbst. Die diversen Erklärungen und Statements von Wörlitz bis Scharping belehren uns eines Besseren.
Ein nicht unerheblicher Teil der wählenden Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer sieht in der PDS die politische Kraft, die eine Veränderung hin zu sozialer Gerechtigkeit (mit-)herbeiführen kann. Ein Ausschluß dieses Bevölkerungsteils von der politischen Entscheidungsfindung ist ebenso dumm wie undemokratisch.
Es ist nicht die Zeit für Unvereinbarkeitserklärungen, ob generell oder partiell, die sich an Vergangenem orientieren.
Wenn Politiker die Wähler darüber aufklären, daß wer PDS wählt, die Abwahl Kohls verhindert, dann sind Wahlergebnisse zu erhoffen, die diese Politiker zwingen, solchen Unsinn zu revidieren.
Es bliebe ihnen noch die Möglichkeit, sich ein anderes Wahlvolk zu wählen. René Reichelt, Berlin
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