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Archiv-Artikel

Lichtenrades Wutbürger wollen drogenfreien Knast

STRAFVOLLZUG Senatorin stößt bei Gefängnistour auf Protest. Anwohner fürchten Dealer in ihrem Viertel

„Wir haben ein Eigenheim erworben, um im Alter in Ruhe zu leben“

LICHTENRADER RENTNERIN

Vor den Toren der Jugendstrafanstalt hat sich ein Häuflein Bürger mit Transparenten aufgebaut. „Kein Drogenknast in Lichtenrade“ steht darauf und „Wer schützt die Anwohner?“ Der gefühlte Altersdurchschnitt der Demonstranten ist 60 plus. Zielscheibe ihres Protests ist Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), die an diesem Montag mit Journalisten eine Tour durch die Berliner Gefängnisse macht.

Fürwahr. Die Lichtenrader sind eine gebeutelte Spezies. Früher hat man in Berlins beschaulichem Süden nach dem Motto gelebt: Was kümmern uns die Auswüchse der Großstadt. Seit Herbst 2010 ist nichts mehr, wie es war. Erst wurde bekannt, dass die auf dem neuen Großflughafen BBI startenden und landenden Flugzeuge über die Reihenhaussiedlungen fliegen würden. Und nun sollen auch noch jugendliche Straftäter, die drogenabhängig sind, nach Lichtenrade verlegt werden.

Die Sache ist nur die: Das Gefängnisgebäude – Kieferngrund genannt – existiert schon seit 1997. Im Kieferngrund, einer Nebenanstalt der Jugendstrafanstalt Plötzensee, waren bisher männliche Untersuchungshäftlinge im Alter von 14 bis 17 Jahren untergebracht. Ab dem Sommer 2011 soll in dem Gebäude lediglich eine andere Gefangenenklientel untergebracht werden. Die Untersuchungshäftlinge werden in die in Plötzensee befindliche Hauptanstalt für jugendliche Straftäter verlegt. Statt ihrer zieht der Jugenddrogenfachbereich von Plötzensee in den Kieferngrund. Grund für die Rochache ist ein allgemeiner Rückgang der Gefangenenzahlen. Nicht nur in der Jugendstrafanstalt soll deshalb ein alter, aus dem 19. Jahrhundert stammender Gefängnistrakt stillgelegt werden.

Die Wutbürger von Lichtenrade haben Schaum vor dem Mund. Ihre Stimmen überschlagen sich. „Wir haben unsere Renten eingezahlt, ein Eigenheim erworben, um im Alter in Ruhe zu leben“, ereifert sich eine Frau mit blond gefärbten Haaren und Sonnenbrille. Wer die Kinder schütze, wenn sie auf der Straße von Drogenhändlern angesprochen würden, will eine Demonstrantin von der Justizsenatorin wissen. Sie halte solche Sorgen für unbegründet, antwortet diese. Trennscheiben und feinmaschige Fenstergitter würden dafür sorgen, dass Gefängnisbesucher keine Drogen mitbringen könnten. Die Antwort der Bürger ist höhnisches Gelächter.

Der Leiter der Gefängnisdrogenfachabteilung, Kai Abraham, springt von der Aue bei. Es gehe um 65 drogenabhängige Jugendliche, die ihren Entzug alle hinter sich hätten, wenn sie nach Lichtenrade kämen, erklärt Abraham. Höchstens fünf dürften die Anstalt verlassen. Einen winzigen Moment lang tritt so etwas wie nachdenkliche Stille ein.

PLUTONIA PLARRE