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Archiv-Artikel

Die zweite Schöpfung

STRASSEN WUCHERN Wie das Öl die Landschaft verändert: Das Sinclair-Haus in Bad Homburg zeigt dreißig großformatige Aufnahmen des kanadischen Fotografen Edward Burtynsky

Die Vorstädte werden erdrückt von vielspurigen grauen Highways, verbunden durch vielstöckige Schleifen

VON URSULA WÖLL

Ein kalifornisches Ölfeld. Wie ein regelmäßiges Tapetenmuster ziehen sich Ölpumpen und Stromleitungs-Pfähle bis zum hochgelegten Bildhorizont des über vier Meter breiten Fotodrucks. Aufgenommen bei schräger Sonne, leuchten die Farben warm. Die Tiefenschärfe verleitet zum Auffinden von Einzelheiten. Die Vogelperspektive sorgt für Distanz. Ästhetisch reizvoll, wirkt das Foto eher anziehend als schockierend.

Das schwarz gerahmte C-Print-Diptychon ist ein Werk des kanadischen Fotokünstlers Edward Burtynsky, der sich auf „manufactured landscapes“ spezialisiert hat. Es gehört zu seiner Serie „Oil“, aus der die Altana-Kulturstiftung nun erstmals in Deutschland dreißig großformatige Aufnahmen im Sinclair-Haus in Bad Homburg zeigt.

In dem barocken Palais wohnte einst Isaak von Sinclair, der 1798 seinen Freund Friedrich Hölderlin nach Bad Homburg holte. Der hatte seinen „Hyperion“ eben fertig, in dem er die Natur feiert: „O göttlich muss sie sein, weil ihr zerstören dürft, und dennoch sie nicht altert und trotz euch das Schöne bleibt.“ Wie gründlich der Dichter irrte, dokumentiert Burtynsky mit seinen Fotoserien: „1997 wurde mir klar, dass all die weiten, vom Menschen veränderten Landschaften erst durch den Fortschritt, den der Verbrennungsmotor brachte, entstehen konnten. Die folgenden zwölf Jahre verbrachte ich damit, die größten Ölfelder zu fotografieren.“

Vergiftete Seen

So reiste er nicht nur nach Kalifornien, sondern auch ins kanadische Alberta, wo Öl aus Sänden gefiltert wird und riesige Bagger Mondlandschaften mit vergifteten Seen von der Größe Islands hinterlassen. Auch hier gelingen ihm grandiose Bilder, diesmal vom Helikopter aus. Und wiederum zeigt sich der Fotograf als Ästhet, der die Zerstörungen zwar im Ausmaß, aber nicht im Detail dokumentiert und ihre Schrecken durch die attraktive Form sublimiert. Hell-Dunkel-Kontraste durch Spiegelungen verwischen die Grenzen zwischen Land, Wasser und Himmel und suggerieren, dass die Erde bald wieder wüst und leer sein wird wie am Anfang, diesmal durch menschliche Gier.

Die Menschen selbst fehlen auch auf den frontal aufgenommenen Innenansichten von Raffinerien, das silbern glänzende System ihrer Rohrlabyrinthe hat sich gegenüber seinen Schöpfern verselbständigt. Die penible Bildkomposition erinnert an Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher, aber die fotografisch konstruierte Ordnung ist eine scheinbare, denn das Funktionieren des Ganzen bleibt undurchschaubar. All diese im ersten Kapitel „Extraction and Refinement“ der Serie abgelichteten Unorte liegen außerhalb unseres aufgeräumten und mit Blumenkübeln aufgepeppten Alltags.

Dafür tangiert uns das nächste Kapitel „Transportation and Motore Culture“ unmittelbarer. In ihm widmet sich Burtynsky den Auswüchsen des Autowahns. „Als ich zum ersten Mal Industrieanlagen fotografierte, hatte ich eine Art Ehrfurcht vor dem, wozu die Menschheit fähig war. Mit der Zeit verkehrte sich dieser Bewunderungsrausch. Das Auto, mit dem ich durchs Land fuhr, repräsentierte nicht mehr nur Freiheit, sondern auch etwas Konfliktbeladenes.“ Über Jahrhunderte war Öl eine schöne Gabe der Natur, die man in Lampen verbrannte. Schon Marco Polo berichtet von sprudelndem Öl in Baku, das in Weinschläuchen auf Kamelrücken exportiert wurde. Das Auto fördert Mobilität und daher Straßen, die wiederum endlose Suburbs ermöglichen, der Circulus vitiosus ist bekannt.

Aus dem Helikopter fotografiert Burtynsky die Suburbs von L.A., Las Vegas und Houston als eine in Raster fragmentierte Welt, in der die Häuser auf Linie gebracht sind wie die endlosen Reihen der vor den Fabriken parkenden Neuwagen. Die Vorstädte werden erdrückt von vielspurigen grauen Highways, verbunden durch vielstöckige Schleifen. Eine zweite Schöpfung überwuchert die ursprüngliche, und wir sind Profiteure des Schlamassels – auch Burtynsky, der pausenlos durch die Welt jettet. Vielleicht wählt er wegen dieser doppelten Rolle als Verursacher und Ankläger den Widerstreit zwischen schöner Form und Inhalt, der den Skandalen durch künstlerischen Anspruch das Empörende raubt.

Haushoch alte Reifen

Nur im letzten Kapitel „The End of Oil“ gibt der Künstler seine Distanz auf, wenn er die Schrottplätze der Welt fotografiert. In Baku spiegelt sich rostiges Equipment in stinkenden Lachen. Anderswo liegen die ausgeweideten Teile von Autos und Flugzeugen wüst durcheinander und erinnern an Dripping-Gemälde von Jackson Pollock. Hochhaushoch türmen sich schwarze Altreifen, wegen der Brandgefahr durch eine schmale Gasse getrennt, die ins Nirgendwo führt.

Nun bevölkern auch Menschen das Inferno dieser „manufactured landscapes“. Auf den Plätzen des Shipbreaking in Chittagong verzichtet Burtynsky auf jegliche Draufsicht und fotografiert die Arbeiter auf Augenhöhe. Barfuß stehen sie in der schwarzen Brühe zwischen zerbeulten Ölfässern. Einer posiert vor einer rostigen Schiffswand, die das 130 x 160 cm große Foto ganz ausfüllt. Er wirkt winzig vor dieser düsteren Masse, hebt sich aber durch die Lichtführung von ihr ab. Barfuß, in einer einst prächtigen, nun verdreckten Uniform und gestützt auf seine Werkzeuge, versucht er, seine Würde zu behaupten. Sein Käppi hat Burtynsky wie einen Heiligenschein beleuchtet. Vielleicht ist dies das stärkste Foto seiner Serie „Oil“.

■ Bis 10. April im Sinclair-Haus, Bad Homburg. „Oil“ (Steidl-Verlag, Göttingen) 98 Euro