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Parkspiele, Politik und Porno

Einzelleser und badebehoste Männer versammeln sich, Politik wird verkunstet, auf Parties reden alle über Gruppensex. Ein Potpourri sommerlicher Impressionen  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Berlin im Sommer ist besser, wie überall, weil man sich nicht mehr so sehr von Zielen seine Wege bestimmen läßt, mag man auch irgendwo ankommen.

Angenehm ist das Berliner Leben beim Minigolfen oder in der Neuköllner Hasenheide. Familientreff der Einzelleser, Türken und Osteuropäer, die sich bei heimatlichen Kassettenrecorderklängen und Bier unterhalten. Kiffergruppen Mitte 30 kommen auch gern her mit ihren Kindern. Zu Beginn des Sommers riecht es noch nach Gras. Auf der ersten Wiese spielt man Fußball und Trommeln, auf der zweiten liegt man rum und schaut den Federbällen und Frisbees hinterher, auf der dritten spielen Berliner Männer in Badehose Fußball, was ziemlich blöd aussieht.

Auf Kreuzberger Parties spricht man über den Schriftsteller Rainald Goetz und den Regisseur und Parteivorsitzenden Christoph Schlingensief und die Plakate der Lemonbabies, die an allen Berliner Straßen hängen und für ihre neue CD „Porno“ werben. Auf den Plakaten kuscheln sich die drei milch- und honighäutigen Popmädchen nackt aneinander wie Kätzchen. Das sieht sehr gemütlich aus. Deshalb spricht man auf Parties manchmal auch über Gruppensex. Das ist lustig, weil man das sowieso nicht machen würde. Jemand sagt, Sex sei ohnehin eher was für Prolos. Rainald Goetz dagegen „ist ein lieber Mensch“, sagt eine Freundin. Der ehedem Münchner Schriftsteller wohnt im Wedding und beobachtet von dort aus das Berliner Leben und schickt jeden Tag eine Seite „Abfall“ ins Internet. (rainaldgoetz.de).

Schlingensief, bekannt durch Funk und Fernsehen und seine Aktion „Tötet Kohl“ ist der zur Zeit größte Berliner Popstar. Alle wünschen ihm viel Glück bei seinen tollen kunstpolitischen Aktivitäten. Vor drei Wochen hatte ich in der Brotfabrik zum ersten Mal einen Aktivisten von Chance 2000 kennengelernt, der tatsächlich erzählte, er sei gegen das „Gegeneinander“ und für mehr „Miteinander“, und alle sollen sich zusammenschließen. Unaufhörlich redete der Aktivist, als hätte er zuviel Speed genommen. Später begehrte er gegen seinen Parteivorsitzenden auf. „Der Christoph“, dessen Parolen in seltsamen Fake- Welten zu Hause sind, hätte zwar große Verdienste, spiele sich jedoch zu sehr in den Vordergrund und verrate als Führer die Inhalte der Partei. Am besten sei es, wenn man ohne ihn weitermachen und er anderen Platz machen würde. Verschiedene Sprachwelten stoßen (in Berlin und in Sachen Schlingensief) aneinander. In der einen, der man im Osten oft begegnet, entsprechen die Wörter noch ganz gesund, munter, kindlich oder naturwüchsig genau dem, was sie in der anderen, der westlichen Sprachwelt – erschöpft von Medien, Politikern und so – notwendig verfehlen. Was die „westliche“ Sprache übrigens nicht besser macht – angeekelt von den Worten, gehen ihr die Worte aus, und man spricht nur noch, als ob man spricht, und wenn einen auch die Prätention des In-Anführungszeichen-Sprechens anwidert, ist es manchmal schwer, die Sprachen zu unterscheiden. Die Parteizentrale der Schlingensief-Partei PLC – Chance 2000 (Partei der letzten Chance) liegt in einem Wohnwagen, der am Prater im Prenzlauer Berg steht. Der große Praterbiergarten ist sehr empfehlenswert. Die Schlingensief-Aktivisten fallen nicht weiter auf, wenn es mal richtig heiß ist und die gewöhnlichen Trinker in der Überzahl. Im Gegensatz zum eigentlich schöneren Biergarten im Pfefferberg kriegt man hier Abendsonne ins Bier. Der abendsonnelose Pfefferberg hat andere Vorzüge. Man kann zum Beispiel an heißen Sonntagnachmittagen in die dem Pfefferberg angschlossene Technokellerdisko „Subground“ gehen, was sich ziemlich seltsam anfühlt. Zurück zum Prater. „f6“-Geschmack verbindet. „Sonntag nachmittag mußt du ein Weizen trinken“, sagt eine Frau. Eine andere trinkt ein Bier und trägt ein knappes braunes Kleid, um noch brauner zu werden, als sie schon ist. Ab und an stellt sich einer zwischen die Biertische und spielt gleichzeitig Panflöte und Gitarre. Da gehen wir mal lieber. Am Alex treten zuweilen zwanzigköpfige Panflötenbigbands auf. Das mögen die Leute.

In der auch subkulturgeschichtlich interessanten Kreuzberger Kunsttrödel-Trash-Kneipe Arcanoa, die Ende Juli leider schließen muß, steht die Punkerin und Bruce-Willis-Verehrerin Michaela so herum und sammelt Unterschriften für die Anarchistische Pogo Partei Deutschlands (APPD), die hier ihr Hauptquartier hat. Die APPD, die in St. Pauli sieben Prozent zu kriegen pflegt, wird von allen Punkdienstleistern vor den Berliner Kaufhäusern gewählt und ist vor kurzem eine Listenverbindung mit der Schlingensief-Partei eingegangen. Jeder rühmt sich dabei, den anderen über den Tisch gezogen zu haben. Nun ja. Politik wird in Berlin ganz groß geschrieben. Auch die Verkunstung von Politik. Vor einem halben Jahr gab es mal einen Studentenstreik. Vor zwei Wochen wurde er in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz aufgeführt. Am Ende meines Lieblingsstreikflugblattes, das vermutlich von Nachfahren der legendären MSZ (Marxistische Studentenzeitung) verfaßt wurde, heißt es: „Gegen das Spektakel der Kritik, die Kritik des Spektakels. Spaß ist kein Spaß!“ Soviel zu Berlin.

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