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Dieses Kreuzberg-Gefühl loswerden

Die Lassie Singers gibt es nicht mehr, und keiner hat es ihnen erlaubt. Ihre Songs handelten von Beziehungsabstürzen und anderem Alltagskram, die ihnen zugrunde liegende Ironie und Weisheit wurden jedoch nicht immer verstanden. Jetzt sind sie auf Abschiedstournee  ■ Von Gerrit Bartels

Etwas abgekämpft wirken Almut Klotz und Christiane Rösinger, wie sie einem da an einem großen runden Tisch in dem Kreuzberger Café Markthalle gegenübersitzen. Blaß und mit tiefen Ringen unter den Augen, tapfer sich an Spezi und Kaffee haltend, lädt die „gütige Doppelmonarchie“ der Lassie Singers, wie die beiden sich bezeichnen, zu Interviews.

Am Abend vorher haben sie eine Art Geheimkonzert im Maria am Ostbahnhof gegeben, einem Club, der gegenüber vom neuen Ostbahnhof liegt, im Berliner Bezirksdreieck Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte. Ein Konzert, auf dem man sie zum einen das erste Mal wieder mit ihrem langjährigen Gitarristen Herman Hermann gemeinsam auf einer Bühne sehen konnte. Das zum anderen aber auch der Start zu einer Abschiedstour durch ihre Lieblingsstädte war: Die Lassie Singers gibt es nicht mehr, und sie soll es, wie Christiane und Almut übereinstimmend betonen, auch nie wieder geben.

Eigentlich waren sie seit mehr als zwei Jahren schon keine richtige Band mehr. „Alkoholbeschwingte, sentimentale Erinnerungen“ und der Traum von einem richtig glanzvollen Abschied in vollen Konzertsälen veranlaßten die beiden dann aber zu dieser kurzfristigen Reunion.

Doch auch wenn sie mit dieser Tour und ihren beiden Goodbye- Alben „Rest Of“ und „Best Of“ vor allem das von ihnen zusammen mit der Musikjournalistin Susanne Messmer gegründete Label Flittchen Records ins Bewußtsein einer musikinteressierten Öffentlichkeit rücken wollen: Die Lassie Singers und ihre Songs verursachen selbst zuerst einmal eine Menge sentimentale Regungen. Gerade in Berlin, wo sie vielen immer „ein Stück Lebenskraft“ waren, wie man in der Fleischerinnung so sagt, wo sie zu Kreuzberg genauso gehörten wie das Kottbusser Tor.

Da standen die Leute dicht gedrängt im Maria, Fans und langjährige Weggefährten, sangen – zumeist nur leise – Zeile für Zeile Lieder wie „Leben in der Bar“, „Hamburg“ oder „Mein Freund hat mit mir Schluß gemacht“ mit und gedachten so einiger biographischer Wegmarken: der erste Kuß, die erste Liebe, der erste große Krach. Aber auch die ersten Grüße aus einer Stadt wie Berlin, in der man in Bars lebte und das Schlafen für den Tod aufgehoben wurde.

„Irgendwie wollen die Leute gar nicht, daß wir uns auflösen. Aber nicht wegen der Musik, sondern wegen der Zeit, die sie mit uns und unseren Liedern verbracht haben. Wir erfüllen da so eine Art Stellvertreterfunktion und stehen für eine gewisse Lebenshaltung. Zu unseren Glanzzeiten war uns das aber gar nicht so richtig bewußt“, sagt Almut und charakterisiert so auch ein Dilemma, das den Lassie Singers zeit ihres Bestehens zu eigen war. Nicht so genau zu wissen, was man mit den eigenen Liedern auslöste, und vor allem „markttechnisch keine Vision von der Band zu haben, die weiblichen Ärzte oder tolle Schlagersternchen oder was auch immer zu sein und so auch unseren Ruhm ein wenig zu versilbern“.

Als sie sich 1988 gründeten, stromerten sie eher als ein Spaß- und Ulkprojekt durch ein Berlin, in dem Kreuzberg noch der Dreh- und Angelpunkt nächtlichen Ausgehens war. Eine „lebende Musikbox“ waren sie da zuerst im Fisch Büro Berlin, einem damals charmant-abgerissenen Szeneladen, ein Vorgänger von den heute in Mitte typischen Wohnzimmerclubs: „Wir hatten eine alte Bügelmaschine in einen Kasperletheaterrahmen integriert und sie so präpariert, daß man Geld reinwerfen und sich per Drehknopf einen der Songtitel wünschen konnte. Und wir saßen schwer geduckt da drin mit Kindercasio, kleinem Verstärker und Mikros.“ So schreiben sie in einem Booklet ihre Gründungslegende fest, und so musizierten sie dann auch einige Jahre eher unbedarft und ohne den unbedingten Willen, reich und berühmt zu werden: mit drei Sängerinnen, einem Trommler und einem Gitarristen.

Mit ihrem zweiten Album „Sei A Gogo“ nahm dann aber auch die Resonanz außerhalb Berlins zu. Nicht nur weil sie mit „Hamburg“ und „Leben in der Bar“ zwei wunderschöne Popsongs komponiert hatten. Sondern auch weil überhaupt in der Hamburger Musikszene der Grundstein dafür gelegt wurde, daß man auch mit deutschen Texten eine Menge Pop- und Indie-Appeal haben konnte.

Die Songs der Lassie Singers hatten allerdings immer etwas sehr Melancholisches. Nur allzu offen berichteten die drei Sängerinnen von Alltagsunglück, Beziehungsabstürzen, den Unzulänglichkeiten männlicher Mitmenschen, aber auch den Gründen, warum sie überhaupt eine Band hatten: „Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß“ heißt es da in „Hamburg“ wie aus heiterem Himmel. Und trotzdem: Viel Witz, heitere Beschwingtheit und Ironie sorgten fast immer dafür, daß sie und ihre Zuhörer nicht in totalem Gefühlsdusel ertranken.

„Diese Ironie und Weisheit haben viele Leute aber auch nicht kapiert“, sinniert Christiane heute im Rückblick und meint mit „viele Leute“ die Tatsache, daß sich keines ihrer vier Alben mehr als 10.000mal verkaufte. Einen Erfolg, der sich in Zahlen messen ließe, hatten die Lassie Singers nie: Um als sanfte, aber auch stachelige und bestimmte deutsche Riot-Girls durchzugehen und möglicherweise vermarktet zu werden, dafür waren sie einfach zu früh dran. Vielleicht waren sie aber dafür auch immer ein wenig zu zögerlich und bescheiden.

Um als unbedarfte, aber willige Schlagersternchen eine Unzahl pubertierender Teenies zu erreichen, dafür waren sie selbst und ihre Songs immer zu schlau und zu hintersinnig und ihr ganzes Auftreten bestimmt durch die subkulturellen Zusammenhänge, aus denen sie stammten. Und als die Plattenindustrie merkte, daß man mit Kooperationen mit Indiefirmen auch Bands wie Die Sterne oder Tocotronic einem größeren Publikum schmackhaft machen konnte, da hatten die Lassie Singers dann in der Tat die Schnauze voll vom komplizierten Musikbusiness. Aber auch von sich selbst.

Bleibt die Frage, ob das nun etwas von einem romantischen, einem tragikomischen oder einem ganz realen Scheitern hat. Almut ist es viel wichtiger, „kulturell relevant“ zu sein, als finanziellen Erfolg zu haben, und Christiane findet es eher „unsexy“, im Zusammenhang mit den Lassie Singers von Scheitern zu reden, sie spricht lieber von „Glanz und Elend“. Auch wenn sie, was ihre neue Band Britta betrifft, nichts gegen eine Tendenz zur Bewegung „Die neue Bitterkeit“ hat. Ihre Abschiedstour paßt jedenfalls ganz gut in eine Zeit, wo man in Berlin gern von „Generation Berlin“, „innovativen Schüben“ und „neuer Gründergeneration“ redet: Die einen wollen aufbrechen, die Lassie Singers schauen – zumindest noch einmal – zurück. Als Auslaufmodell einer Berliner Ökonomie, mit der sich heute so keiner recht mehr identifizieren möchte: sich irgendwie durchschlagen und trotzdem Spaß dabei haben. „Eigentlich ist es schon das, was ich mir immer gwünscht habe“, sagt Christiane und meint damit, ihre Arbeit selbst einteilen zu können: lesen, schreiben, das neue Label in die Hufe zu bringen, ausgehen.

Sentimentalität mag zwar einer ihrer Beweggründe für die Abschiedstour gewesen sein, doch Sentimentalität lassen Almut und Christiane nicht gelten, wenn sie das vergangene Jahrzehnt Revue passieren lassen: „Ich trauere dem alten Kreuzberg nicht nach“, sagen sie unisono, „ich fänd's schrecklich, wenn wir hier alle noch rumhocken würden.“

Und so verstehen sie ihren Glanz und ihr Elend mit den Lassie Singers vor allem auch als „Kapital“ für ihr Label Flittchen Records, um „die monogeschlechtlichen Strukturen der Musikbranche geduldig zu sabotieren“. Genauso wollen sie damit Bands, „die durchs Indieraster gefallen sind oder die noch keiner kennt, entdecken, betreuen und groß rausbringen“. Ab durch den Mainstream, gar durch die vielbeschworene „neue Mitte“? Niemals!

Letzte Konzerte: 13.11. Basel, Kaserne; 14. u. 15.11. Wien, B 72; 18.11. Hamburg, Fabrik

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