: Hochbewußter Zeitvertreib
■ Böselkraut zieht in die Welt. Franzobels sprachanarchistische Versuche auf Romanlänge
Warum Bestseller? Warum Karol Alois? Warum &? Zur Literatur des Albernen gehört nun einmal das Herumalbern. Toll! Jux! Albern! Was warum... Oder handelt es sich tatsächlich um eine Absichtserklärung? Einer will einen Bestseller landen und schreibt der Konsumentenschaft per Untertitel ihr Konsumtionsverhalten vor. Augenzwinkernd, klar. Wie einst Handke, als er die Selbstaufforderung in die Welt tönte: „Weltberühmt werden!“ So ähnlich. Popkünstler, mir nach!
Neben dem Bestsellen tut Alois auch eine Geschichte erzählen, die so recht an die Comix-Geschichten Franzobels erinnert. Böselkraut zieht in die weite Welt hinaus, um seinen verschollenen Hund Knödel zu suchen, begegnet dabei Ferdinand, und beide finden am Ende den Hund, der ins Kanalsystem gerutscht ist. Böselkraut, der alles ansieht wie die Kuh das neue Tor. Ein Candide, voltairesche Statur. Unschuldsmasche. Und Ferdinand, das neunmalkluge Kind. Und der Sprachwitz natürlich. Von einer österreichischen Experimentalliteraturkollegin Franzobels hat einmal jemand geschreiben: „Die forcierte Methodik gipfelt in der Demonstration sinnfreier Stringenz der elaborierten Darstellung absoluter Nichtigkeiten.“ Die Methodik handhabt Franzobel mittlerweile sehr locker. Was auch daran liegen dürfte, daß er jetzt Romane schreibt. Die Stringenz früherer Zwanzig-Seiten-Texte ist da nicht durchzuhalten. Statt dessen Lust & Jux, Zeilenfüllen, Wörterverwechseln, Vertauschen, Verstottern. Sprachanarchie. Wenn Franzobel sich über das Verwechseln von Selbem und Gleichem lustig macht, ist das jedenfalls lustig. Wenn Sprachpolizist Franz Josef Czernin dasselbe mit schwerem und ernstem Geschütz an Christoph Ransmayr kritisiert, ist das ermüdend. Die Sprache nämlich ist weniger streng als die Polizei. „Grammatikalische Fehler wurden bewußt beibehalten.“
Franzobel erklärt sich: „Wir haben eine Avantgarde, die nicht mehr schockiert und nicht mehr innovativ ist...“ Ein Widerspruch, oder? Eine Nachzügler-Avantgarde. Eine alt gewordene Jugendbewegung. Vielleicht konnte man, meint Franzobel, die Trennung zwischen E- und U-Literatur ein bißchen aufheben. Also avantgardistische Bestseller schreiben, schließlich muß auch der Avantgardist von etwas leben. Wie ein Ernst Jandl; der freilich ohne Untertitel, ohne Programm. „Natürlich wird es daneben nach wie vor eine Belletristik geben, die Bedürfnisse nach Unterhaltung und Zeitvertreib befriedigt.“ Aber, Hand aufs Herz, ist „Böselkraut & Ferdinand“ etwa nicht unterhaltsam? Ist das kein hochbewußter Zeitvertreib? Leopold Federmair
Franzobel: „Böselkraut & Ferdinand. Ein Bestseller von Karol Alois“. Wien. Paul Zsolnay Verlag 1998, 34 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen