: Vom Wesen des echten Mannes Von Joachim Schulz
Was ist es, das den echten Mann auszeichnet? Bartwuchs bis auf die Oberarme? Die Feinripp-Unterhose mit Eingriff? Eine Selbsteinschätzung Marke „In Wirklichkeit heiße ich Rambo, Baby“? Alles Kokolores. Der echte Mann ist vor allem eins: nämlich Experte. Und zwar für alle Fachgebiete.
Werfen wir einen Blick in eine ordentlich aufgeräumte Vierzimmerwohnung. Hier könnte Friede herrschen und das Familienglück fröhliche Urständ feiern. Bedauerlicherweise jedoch hat justament die Waschmaschine ihren Geist aufgegeben, und deshalb ist es vorerst um das einträchtige Zusammenleben geschehen. Natürlich hätte jeder normale Mensch umgehend nach dem Kundendienst telefoniert. Wenn aber ein echter Mann im Haus ist, steht auf einen solchen Anruf eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung. Statt sich von einem in der Waschmaschinenanatomie bewanderten Techniker aus der Klemme helfen zu lassen, wird also das Badezimmer für mindestens drei Tage in ein Schlachtfeld verwandelt: Im Waschbecken stapeln sich Schrauben, Muffen und abgenagte Apfelgerippe; die Badewanne ist mit einer rostbraunen Kruste bedeckt; und wenn die Maschine am Ende tatsächlich wieder zu laufen beginnen sollte, dann führt das garantiert binnen kürzester Frist zu einem heftigen Briefwechsel mit der Haftpflichtversicherung, die sich weigert, den Überschwemmungsschaden zu bezahlen.
Von so einem unbedeutenden Malheur indessen läßt sich ein ausgewiesener Universalexperte nicht entmutigen. Schon hat er sich die Lieblingsbluse seiner Gattin gegrapscht, die diese wegen eines besonders hartnäckigen Fleckens gerade in die Reinigung zu bringen gedachte. „Ich mach' das schon“, verkündet er und eilt mit dem guten Stück in den Hobbykeller, wo er dem renitenten Schmutzrand mit einer Mixtur zu Leibe rückt, von der er gern Wunderdinge erzählt. Tatsächlich ist die Bluse keine dreißig Minuten später von ihrem unansehnlichen Makel befreit. Man hätte dieses Ergebnis natürlich auch mit einer gewöhnlichen Schere erzielen können.
Doch nicht nur zu Hause, auch unterwegs erweist sich der Fachmann als außerordentlich heilsbringend und nützlich. Mit einer Überzeugungskraft, die keinen Widerspruch duldet, setzt er bei Fahrradtouren seine Interpretation des Kartenmaterials gegen abweichende Mehrheitsmeinungen durch, und weil er überdies die gesamte Gruppe dazu bringt, seinen fundamentalen Kenntnissen in der Wetterprognostik zu vertrauen und auf Regenzeug zu verzichten, sorgt er nicht nur dafür, daß man sich ans Ende der bewohnten Welt verirrt, sondern auch bis auf die Knochen durchnäßt wird. Im Ausland wiederum führt die bewunderungswürdige Souveränität, mit der er sich jeder Fremdsprache zu bedienen weiß, vor allem in Restaurants immer wieder zu großen Überraschungen, wenn die von ihm bestellten Gerichte aufgetragen werden, und auch auf der Rückreise weiß der Fachmann zu glänzen: Denn selbstverständlich kennt er ein todsicheres Versteck, um einige Stangen Zigaretten über die Grenze zu schmuggeln, und ebenso selbstverständlich führt das zu einem längeren, in finanzieller Hinsicht durchaus ruinösen Aufenthalt auf der Zollstation.
Gäbe es diese Experten nicht, man müßte sie nicht erfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen