:
Bizarre Welt der Antisemiten ■ Von Wiglaf Droste
Er war einer dieser Männer, die gegen einen Schnäuzer nur einzuwenden haben, daß man sich nicht gleich drei davon ins Gesicht stekken kann. Langsam schob er sich in die Kneipe, robbenbärtig wie der frühe Biermann und gewichtig wie der späte. Er stellte sich an den Tresen, stattlich bis in die Tränensäcke. Präsidial hob er eine schnitzelgroße, beringte Hand und orderte ein Glas Weißwein. Ich wandte mich wieder meinem Getränk zu, das weit erfreulicher war als der Theken-Neuzugang, der sich zügig wieder ins Spiel brachte: „Was kostät Wein?“ hob er die Stimme. „Acht Makk fummzik? Ist das hierr Juddnlokall?“
Ich zuckte, war mir aber nicht ganz sicher, ob ich richtig gehört hatte. Ich hatte. „Ist das hierr Juddnlokall?“ schnappte er nochmals, hob diverse Kinne und sah sich herausfordernd um, bis sein Blick sein Ziel erreicht hatte: den Mann hinterm Tresen. Der sah ihn aus harten Augen an, sagte aber nichts, schüttelte nur kaum merklich seinen gewaltigen Kopf, der die Form eines hochkant gestellten Fernsehapparates hatte.
Wirte streiten nicht mit ihren Gästen. Sie haben, wenn sie in ihrem Beruf etwas taugen, die Bedeutung des Wortes Langmut gelernt: Solange es geht, hält man den Schnabel und denkt sich sein Teil. Wäre das anders, gäbe es keine Gastwirtschaften. Der Wirt drehte sich weg. Es nützte gar nichts. „Ich binn aus Pollänn!“ deklamierte der Mann vor dem Tresen. „Wirr Pollänn chabän so gelittän – untär die Russänn, unter die Deutschänn, und am meisten unter die Juddn! Und das, wo so viellä Pollänn habän gärättät Juddn! Jätzt wirr ändlich wollän Frraihait fürr Pollänn!“
War es nicht faszinierend? Hier wurde eingelöst, was Martin Walser forderte: Jeder gedachte der ermordeten Juden auf seine eigene, ganz private Weise – so wie der Mann am Tresen, dessen einziger Daseinszweck es schien, den Verdacht zu nähren, daß in einem polnischen Freiheitskämpfer immer auch ein katholischer Antisemit stecke. Und obwohl dieser Schnäuzerpole den Berufsdeutschen Martin Walser wahrscheinlich nicht einmal kannte, war er dessen williger Vollstrecker und füllte auch den etwas vage gewordenen Begriff der deutsch-polnischen Zusammenarbeit mit neuem Leben. War er deshalb ein Antisemit? Niemals – genausowenig, wie Martin Walser ein Antisemit ist, wenn er auch Ignatz Bubis abkanzelte, er habe sich schon mit Auschwitz beschäftigt, als Bubis noch in Auschwitz gesessen habe. Denn wer beteuert, kein Antisemit zu sein, der ist auch keiner. So ist das, so schreiben es die älteren Literaturredakteure, die auf der Alte-Säcke-Ebene mit Walser verbandelt sind, und die jüngeren, denen das Leugnen der Wirklichkeit spätestens seit Ausrufung der Berliner Republik zum ganz persönlichen Anliegen geworden ist.
Der Wirt hatte mit Literatur nichts zu tun – der Wirt hatte genug. „Der Wein ist umsonst, und du verschwindest. Sofort.“ sagte er, nahm das Glas von der Theke und leerte es über der Spüle. Der Pole mumpfelte noch ein bißchen herum, trollte sich aber dann. Als er in der Tür war, rief der Wirt ihm hinterher: „Wir sind hier ja schließlich nicht in Israel!“
Da ging dann auch ich, um eine letzte Illusion erleichtert, und gab mir ein paar Häuser weiter den Rest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen