: Ein Exsoldat bekämpft den Krieg
KRIEGSGEGNER Nicht nur arabische Bürger Israels protestieren gegen die Militäroperation in Gaza. Auch Juden fordern ein Ende der Angriffe
YONATHAN SCHAPIRA, EXKAMPFPILOT
TEL AVIV taz | Unter arabischen Bürgern Israels wächst die Wut über den Krieg gegen die Hamas. In den Städten Nazareth und Sachnin schlossen sich die allermeisten Einwohner einem Generalstreik an – und verwandelten beide Orte in Geisterstädte. Die Reaktion israelischer Nationalisten blieb nicht aus. Israels Außenminister Avigdor Lieberman etwa rief auf seiner Facebookseite dazu auf, alle arabischen Geschäfte zu boykottieren, die sich am Streik beteiligten.
Aber auch auf der jüdischen Seite weigert sich eine kleine Gruppe von Aktivisten, sich in diesen Sog des Krieges ziehen zu lassen. In Orten wie Haifa oder Tel Aviv demonstrieren Exsoldaten und bekannte Künstler gegen den Krieg in Gaza. Es sind Menschen wie der ehemalige Kampfpilot Yonathan Schapira, der keine Demo verpasst. Zu manchen bringt er seine zehn Monate alte Tochter mit.
Vor zwölf Jahren nahm Schapiras Leben eine dramatische Wende: Am 22. Juli 2002 nahm Israel in Burdsch in Gaza eine „gezielte Tötung“ vor. Der Bombe fielen neben einem gesuchten Terroristen 15 Menschen zum Opfer – darunter neun 9 Kinder.
„Ein Weiteres kam in der Nacht danach um“, erinnert sich Schapira. Zwar beruhigte der Luftwaffenchef seine Piloten nach dem Einsatz, sie könnten ruhigen Gewissens schlafen: „Aber für mich war das ein Weckruf.“ Ein Jahr später rief Schapira mit anderen Piloten in einem offenen Brief dazu auf, den Wehrdienst zu verweigern. Er wurde vom Dienst suspendiert.
Heute hat er sich weit vom israelischen Mainstream entfernt. Den Einsatz in Gaza bezeichnet er als „Massaker“ und „Kriegsverbrechen“, die zudem nichts nützten: „Es ist dumm zu glauben, man könne 1,8 Millionen Menschen im größten Gefängnis der Welt einsperren und erwarten, dass sie nicht reagieren.“
Für Schapira ist klar, dass „jedes Volk ein Recht auf Selbstverteidigung“ hat. „Das müssten wir Juden eigentlich am besten wissen – schließlich handelt unsere gesamte Geschichte vom Wunsch, sich von Unterdrückung zu befreien.“ Der Nachkomme von Holocaustüberlebenden scheut sich nicht, riskante Vergleiche anzustellen: „Wenn die Juden im Warschauer Getto Raketen gehabt hätten, hätten sie sie auch abgeschossen.“
Nein, er sei kein Pazifist, wäre heute noch bereit, Terroristen zu töten. Die Bomben, die Israel auf Raketenteams der Hamas abwirft, um diese am Beschuss israelischer Städte zu hindern, könne man moralisch rechtfertigen. „Wenn ich glauben könnte, dass alle, die wir töten, tickende Bomben sind, die ich aufhalten könnte – ich würde es tun.“
Aber Schapira glaubt der Armee nicht: „Diejenigen, die die Soldaten in diese Missionen schicken, sagen nicht die Wahrheit.“ Der Krieg in Gaza diene nicht der Verteidigung, sondern Israel als „Kolonialmacht. Die Regierung brauche Radikale auf der anderen Seite, um die Palästinenser weiter unterdrücken zu können.
Zudem stärke Israel mit diesem Krieg die Extremisten: „Sie werden zu Vertretern aller Palästinenser gemacht.“ Auch langfristig sei der Krieg kontraproduktiv: „Jedes Bombardement erzeugt mehr Raketenteams, mehr Hass und mehr tote Unschuldige.“ Daran trägt auch die Hamas Schuld: „Nichts lässt Premier Benjamin Netanjahu so gut dastehen wie die Hamas.“
Die Alternative, die der ehemalige Kampfpilot vorschlägt, ist für die allermeisten Israelis indiskutabel: Schapira will, dass Juden und Araber in einem Staat zusammen leben. „Die Zwei-Staaten-Lösung ist ein falsches Konzept. Die einzige Lösung ist, sich völlig zu vermischen. Ein Staat für alle, wo jeder frei ist und die gleichen Rechte hat.“
Schapira ist es gewohnt, bei Demonstrationen und im Internet beschimpft zu werden. Um wieder eine Anstellung als Pilot zu finden, muss er ins Ausland: Seine früheren Kameraden wollen ihm keinen Job geben. Doch das bekümmert den Kriegsgegner nicht: „Ich habe viele alte Freunde verloren“, sagt er. „Aber Dank meiner neuen Weltanschauung habe ich viel mehr neue dazugewonnen.“ GIL YARON