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Eins zu null gegen den freien Welthandel

Die Konferenz der Welthandelsorganisation WTO ist gescheitert. Hauptstreitpunkt ist nach wie vor der Agrarsektor. Wahrscheinlich wird erst nach den US-Präsidentschaftswahlen weiterverhandelt   ■  Aus Seattle Andreas Zumach

Die vier großen Wirtschaftsmächte haben in Seattle erneut versucht, wichtige Fragen zunächst unter sich auszumachen.

Seattle (taz) – Die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO ist am Wochenende an ihrem erklärten Ziel gescheitert, Mandat und Themen für eine neue Verhandlungsrunde über weitere globale Liberalisierungsmaßnahmen zu vereinbaren. Nach viertägigen Verhandlungen gingen die Delegationen der 135 Staaten in der Nacht zum Samstag ohne die angestrebte Einigung auseinander. Offiziell hieß es, die Konferenz sei nur „eingefroren“ und solle im neuen Jahr am WTO-Sitz in Genf wieder aufgenommen werden. Inoffiziell verlautete, eine neue Ministerkonferenz werde frühestens im Jahr 2001, nach den US-Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Zum Scheitern der Konferenz führten Interessenkonflikte zwischen Industriestaaten und Ländern des Südens ebenso wie zwischen den USA und der Europäischen Union. Hauptstreitpunkt zwischen Washington und Brüssel war erneut der Agrarsektor – wie bereits in der „Uruguay“-Verhandlungsrunde (1986-1993) und in den fünf Jahren seit Gründung der WTO im April 1994. Zwar gilt nach dem Scheitern von Seattle weiterhin der Beschluss, dass die zum Abschluss der Uruguay-Runde erzielten Vereinbarungen über den Abbau von Agrarsubventionen wie von Dienstleistungen in Nachfolgeverhandlungen fortgeschrieben werden sollen, deren Beginn für Januar 2000 festgesetzt ist. Doch trotz intensiver Beratungen, die seit vergangenem Donnerstag fast rund um die Uhr geführt wurden, konnten sich die 135 Delegationen in Seattle nicht auf ein Mandat für künftige Agrarverhandlungen einigen. Umsonst hatte die EU am Mittwoch eingelenkt und sich in dem Entwurf für eine Abschlusserklärung bereit erklärt, im Rahmen der WTO über Gentechnik bei der Nahrungsmittelproduktion zu verhandeln – ein Zugeständnis an die USA.

Die USA und insbesondere die hauptsächlich Agrargüter exportierenden 15 Staaten der Cairns-Gruppe (Australien, Kanada, Brasilien, Argentinien u. a.) beharrten darauf, in dem Mandat bereits die vollständige Abschaffung aller Exportbeihilfen als Verhandlungsziel festzuschreiben. Das lehnte die EU, die wegen ihrer Subventionspraxis von anderen WTO-Staaten besonders stark kritisiert wird, bis zuletzt ab. Auch die Einigung auf Maßnahmen für einen verbesserten Zugang der 48 ärmsten Länder zu den Märkten der anderen WTO-Staaten gelang nicht. Entsprechende Vorschläge der EU wurden von den USA als zu weitgehend abgelehnt. Die USA wollten vor allem billige Textilimporte von ihrem Markt fernhalten. Delegierte afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Staaten äußerten ihre tiefe Enttäuschung. Sie kritisierten zudem das „undemokratische“ Format der viertägigen Verhandlungen. Wie schon in früheren Runden hätten die vier großen Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada in Seattle erneut versucht, alle wichtigen Fragen zunächst unter sich und unter Ausschluss der anderen 131 WTO-Staaten auszumachen. Schließlich scheiterte auch die in erster Linie von der EU angestrebte Erweiterung der WTO-Tagesordnung um Themen wie Umweltschutz oder Sozialstandards. Die ohnehin große Skepsis der meisten Länder des Südens vor allem gegen die Behandlung des Themas Sozialstandards im Rahmen der WTO hatte US-Präsident Bill Clinton in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview noch geschürt. Clinton erklärte, die USA verlangten eine formelle WTO-Arbeitsgruppe zum Thema Sozialstandards und strebten die Verankerung verbindlicher Sozialstandard-Klauseln in künftigen WTO-Abkommen an und von Sanktionsinstrumenten zur Durchsetzung dieser Klauseln. Die EU hatte sich hingegen mit Rücksicht auf die bekannten Empfindlichkeiten der Länder des Südens auf die Forderung nach einer gemeinsamen Beratungsgruppe der WTO und der – sachlich für Sozialstandards zuständigen – Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beschränkt. Die Länder des Südens warfen den USA vor, die Forderung nach Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die gegen Sozialstandards verstoßen, sei eine protektionistische Maßnahme. Die Verhandlungsteilnehmer konnten sich auch nicht über die Anti-Dumping-Gesetze der USA verständigen. Besonders Japan hatte eine Revision verlangt. Danach ist es den USA erlaubt, Strafzölle auf jene Waren zu erheben, von denen vermutet wird, dass sie zu einem Preis unter den Herstellungskosten verkauft werden.

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