Das geht unheilbar ins Gehirn

Dieser Hoffmann versteht rein gar nichts: Dass Realität sein könnte, was seine Fantasie war, will ihm nicht in den Kopf. Thilo Reinhardt hat das Opernfragment „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach an der Komischen Oper neu inszeniert

Seine Muse weiß es besser: Sie warnt den Dichter eindringlich vor dem immergleichen Irrtum

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Nichts, kein Pop und kein Rap, hilft gegen den Virus dieser Barcarole. Dam-dam, dam-dam, so geht es endlos weiter. Einmal losgelassen, bohren sich die paar entsetzlichen Takte unheilbar ins Hirn. Eigentlich sollte man Jacques Offenbach dafür hassen, ein bösartiger Angriff auf die musikalische Urteilskraft: aber weil es ja doch nichts nützt, entschließt man sich, den Teufel zu mögen und lässt sich ergeben nach Hause schaukeln, dam-dam, dam-dam …

Auch der junge Regisseur Thilo Reinhardt, Meisterschüler von Ruth Berghaus, muss dieser viralen Musik erlegen sein. Zum Glück hat ihn das nicht daran gehindert, ihr auf die Spur zu kommen. Seine Inszenierung der bis heute unvollendet gebliebenen Oper „Hoffmanns Erzählungen“ führt ihre Konstruktion mit analytischer Schärfe vor Augen. Eigentlich hatte Offenbach seinen Ewigkeitshit für eine andere Oper komponiert, aber er scheint gespürt zu haben, dass diese in sich selbst kreisende Schunkelmelodie alles enthält, was er für „Hoffmans Erzählungen“ brauchte. Ihre geradezu erschütternde Banalität ist die Banalität eines Mannes, der als Dichter gilt, weil er vollkommen unfähig ist, irgend etwas anderes zu lieben als seine eigenen Fantasien. Offenbach verdient aus gutem Grund Bewunderung für seinen tiefen Blick in das Elend der Männerseele, dam-dam, dam-dam …

Reinhardt muss man loben für seine energische, aber elegante und nie aufdringliche Art dieser Aufklärung. Sein Bühnenbildner Paul Zoller hat ihm eine Bar im gerade besonders angesagten Retrostil der frühen 60er-Jahre gebaut, mit Kugelleuchten, unechtem Fournier und gerippten Wänden, die auch auf die DDR-Vergangenheit des Hauses anspielen. Hier trifft sich eine mäßig feine Gesellschaft wichtiger Herren und lässt sich von dem berühmten, aber immer besoffenen Dichter Hoffmann was vorsingen. Sie warten dabei auf die Starsängerin Stella, die gerade in Mozarts „Don Giovanni“ ein Gastspiel gibt, und so rutscht auch Hoffmann plötzlich in ganz unpassend geigenseelige Gefühle ab. Denn natürlich geht es immer nur um die Frauen.

Offenbach hat drei Novellen des tatsächlichen E. T. A. Hoffmann ausgebeutet, um drei dieser Männerfantasien nicht nur zu schildern, sondern zugleich mit den Mitteln seiner Schlagermusik zu entblößen: „Der Sandmann“ für die singende Puppe Olympia, „Rat Crespel“ für die todgeweihte Sängerin Antonia und „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“ für die Hure Giulietta. Üblicherweise werden diese auf drei getrennte Akte verteilten Rollen von derselben Sängerin gesungen, die Komische Oper leistet sich den Luxus dreier Solistinnen, die alle dankbar die Chance der auch schauspielerischen Individualisierung nutzen. Cornelia Götz ist eine ebenso obszöne wie akrobatisch singende Sexpuppe, Sinéad Mulhern eine rührend kindliche Antonia, Karolina Gumos eine eiskalte Verführerin.

Sie alle sind sehr real. Woran Hoffmann als Liebhaber scheitert, ist nicht die Projektion, sondern im Gegenteil die Weigerung, auch nur zu vermuten, seine Liebesobjekte seien mehr als seine Fantasien.

Ironischerweise weiß es seine Muse besser, die ihn liebt und die bei Reinhardt auch die Stelle einnimmt, die im Original für einen männlichen Freund vorgesehen war. Eindringlich warnt Stella Doufexis mit ihrer wunderschönen Stimme vor dem immergleichen Irrtum. Aber es nützt nichts: Dam-dam, dam-dam, „oh schöne Nacht, oh Liebesnacht …“ An der makellosen Tenorstimme von Timothy Richards prallt alles ab, dieser Hoffmann versteht rein nichts, er ist so genial darin, dass die Teufelsfiguren (Coppelius, Mirakel, Dapertutto), die E. T. A. Hoffmann so gern erfand, ein leichtes Spiel mit ihm haben. Peteris Eglitis führt sie allesamt mit beinhartem Bass, aber auch großem Schauspieltalent vor, er lacht über den Schwärmer, und zieht am Ende als „Stadtrat Lindorf“ mit der Stella davon, die auch einmal ein Hoffmansches Liebesobjekt war.

Lindorf und Stella sind Erfindungen von Offenbachs Librettisten. Vom Schlussakt sind hauptsächlich Lücken überliefert, sodass der naheliegende, gesungene Showdown zwischen dem Teufel und dem Romantiker ausbleiben muss. Aber das macht nichts. Verstanden haben wir alles auch so, Hoffmann wankt im Vollrausch aus der leeren Bar hinter seiner Muse her.

Im Februar 1881 sind Teile dieses Fragments in Paris zum ersten Mal aufgeführt worden. Lange her, möchte man meinen, aber das vergisst man in der Komischen Oper. Das liegt nicht allein an Zollers modischem Bühnenbild – das romantische Gefühl selbst mit seinen Teufeln und idealen Frauen hat offenbar keine historische Zeit. Diese altmodisch klingende Unterhaltungsmusik bringt seine Trivialität so präzise zu Gehör, dass sie gute Chancen hat, wieder zum Trend zu werden.

Komische Oper, wieder am 10./17./25. Februar