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Verbote schleichen sich ein

betr.: „Menschheitsschande. Die Auslandsausgabe der Hürriyet macht Stimmung gegen ein vermeintliches Türkisch-Verbot in Deutschland“, taz vom 20. 1. 07

Ohne mich über die Qualität von Hürriyet mit Ihnen auseinandersetzen zu wollen (wir hätten vermutlich ohnehin die gleiche Meinung), wundere ich mich doch über die Leichtigkeit, mit der Sie deren Berichterstattung zum Thema „Türkisch-Verbot“ abtun.

Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass diese Bewertung bzw. Angst so falsch ist? Weil ein Verbot nicht offen ausgesprochen wird? Durch einen Erlass oder ein Gesetz von Regierungsseite? Ich denke, dass in der Türkei aufgrund der eigenen Täterschaft gegenüber den Kurden die Sensibilität für solche Gefahren größer ist. Ebenso wie sie in Deutschland bei jenen paar Männlein und Weiblein größer ist, welche die Beteiligung der eigenen Familie am Nationalsozialismus ehrlich hinterfragt haben (das sind die wenigsten). Wenn man die Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung anderer durch die eigenen Vorfahren wirklich aufgearbeitet hat, bemerkt man die Anzeichen früher. Sprachverbote, Literaturverbote, Zensur und Verfolgung tauchen in der Regel nicht schlagartig auf. Sie schleichen sich ein. So dass die Mehrheit sich stumpf daran gewöhnen kann. Erst verbietet man eine Sprache auf einem Schulhof, dann auf Dutzenden, dann auf Hunderten. Es regt sich dann auch schon niemand mehr darüber auf, wenn man die Sprache in der Schule verbietet. Dann erst kommt das offizielle Verbot. Zu dem Zeitpunkt sind die Menschen aber schon daran gewöhnt, dass eine Sprache hier unerwünscht ist. Glauben Sie ernsthaft, ein solches Verbot bliebe auf den Schulbereich begrenzt? Das Nächste dürften öffentliche Räume wie Bibliotheken oder Behörden sein. Wollen wir wetten?

Man kann Hürriyet (ebenso wie Herrn Diekmann und der Bild) sicher vieles nachsagen, aber die Sensibilität fürs Populistische und damit für die Mehrheitsmeinung ist sicher größer als in den Redaktionen von Intellektuellenblättern. Von der etwas drastischen Verkaufe mal abgesehen kann ich nur sagen: Hürriyet hat recht. Wir sollten lieber genauer auf den Umgang Deutschlands mit der türkischen Kultur gucken, als uns über Hürriyets Berichterstattung aufzuregen. Angesichts von Vorgängen wie Sprachverboten auf Schulhöfen, „Kopftuch-runter“-Aktionen von Politikern, Kurnaz, El Masri, Anklam, „präventive“ Kontrollen „orientalisch“ aussehender Männer in Zügen, Ausländerzentralregister, „Antiterror“datei und unzähligen ähnlichen Beispielen, die nur vordergründig nichts miteinander zu tun haben und in einem Tempo zunehmen, dass es mir den Atem raubt, klingen mir immer häufiger die Worte der wenigen alten Menschen im Ohr, die den Nationalsozialismus kritisch erlebt haben: Genauso hat es damals angefangen. ANNETTE BÖCKER, Köln

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