: „Ahmadinedschad ist nicht irrational“
Es ist ein offenes Geheimnis: Israel hat Atomwaffen. Deshalb sollte es seine Forschung internationalen Beobachtern zugänglich machen. Das könnte zur Entspannung mit Iran beitragen, glaubt der israelische Atomforscher Usi Even
taz: Herr Even, Sie gehören zu den Pionieren der Atomforschungsstation in Dimona. Warum haben Sie damals dort gearbeitet?
Usi Even: Es war 1962, ich war damals noch sehr jung und lebte stark in der Erinnerung an den Holocaust. Meine Familie kommt aus Polen. Wir glaubten, dass die Existenz des Staates Israel im Nahen Osten bedroht war und suchten nach Lösungen, um Israel langfristig zu schützen. Was in Europa passiert war, sollte sich hier nicht wiederholen. Wie ironisch, dass heute, 40 Jahre später, der Staat wieder existenziell bedroht ist, diesmal durch atomare Waffen. Das muss verhindert werden.
Wie?
Ich glaube, dass Israel etwas zu den internationalen Anstrengungen beitragen kann, um den Iran daran zu hindern, in den Besitz atomarer Waffen zu geraten. Mein Standpunkt ist, dass sich Israel nach 40 Jahren Entwicklung und Forschung im atomaren Bereich erlauben kann, die Politik der Vernebelung zu ändern und vor allem den Atommeiler Dimona für internationale Beobachter zu öffnen. Das würde unser Know-how nicht gefährden. Außerdem könnten wir jederzeit wieder einen anderen Weg einschlagen, wenn uns das in der Zukunft als sinnvoll erscheinen sollte.
Was würde Sie erreichen, wenn Dimona für internationale Beobachter zugänglich wäre?
Wir würden ein Signal des guten Willens geben und den Iranern vielleicht ermöglichen, von ihrem Baum wieder herunterzuklettern.
Glauben Sie wirklich, dass sich die iranische Führung, die mit internationalen Sanktionen nicht zu schrecken ist, ausgerechnet davon beeindrucken lassen würde?
Vielleicht nicht, aber immerhin würden wir den Verdacht loswerden, dass wir nicht die Wahrheit sagen. Wir haben nichts zu verlieren.
Glauben Sie, dass das israelische Atomforschungsprogramm möglicherweise ein Fehler war? Dass aufgrund der israelischen Atomforschung nun Staaten wie Iran oder auch Ägypten dem Beispiel folgen?
Das Gegenteil ist der Fall. Ich kann Anwar Sadat zitieren, als er nach Jerusalem kam. Er hatte eingesehen, dass er den Staat Israel und zwar aufgrund der atomaren Waffen nicht ausradieren kann, deshalb wandte er sich zum Frieden. Die atomaren Waffen haben uns geholfen, Teil des Nahen Ostens zu werden. Die Politik, die bis heute verfolgt wurde, war also erfolgreich. Aber die Bedingungen verändern sich. Man kann nicht über sehr lange Zeit ein Monopol halten, vor allem wenn die Technologie der atomaren Waffen immer simpler wird, wie Zentrifugen oder die Spaltung von Isotopen durch Laser, was den Preis noch mehr drückt. Wir müssen uns den neuen Bedingungen anpassen, sowohl technologisch als auch geopolitisch.
Das Gleichgewicht des Schreckens hat in Europa gut funktioniert. Könnte es nicht auch hier funktionieren?
Schon möglich. Ich stimme der Ansicht nicht zu, dass die Iraner irrational agierten und Ahmadinedschad ein persischer Hitler ist.
Sie glauben also nicht, dass Ahmadinedschad es ernst meint, wenn er sagt, dass er Israel vernichten will.
In der nahöstlichen Kultur besteht ein großer Unterschied zwischen dem Gesagten und dem, was tatsächlich getan wird. Sämtliche Kriege, die in den vergangenen 40 Jahren in dieser Region geführt wurden, blieben in einem Rahmen, den ich als human bezeichnen würde. Wir sind niemals auf eine so mörderische Ebene geraten, wie es in Europa geschehen ist. Wenn ich mir meine Nachbarn aussuchen könnte und wählen müsste zwischen Arabern und Deutschen, dann brauche ich nicht lange nachzudenken.
Heute noch?
Ja. Einer der schrecklichsten Kriege in den vergangenen Jahren fand in Serbien statt, in Europa. Dort starben mehr Menschen als in all den nahöstlichen Kriegen zusammen. Ich glaube nicht, dass die Iraner verrückt sind. Wir sollten uns erinnern: Als Ajatollah Chomeini verstand, dass er durch den Krieg gegen Irak nichts erreichen kann, schluckte er seinen Stolz herunter und unterzeichnete einen Friedensvertrag.
Nachdem Millionen Menschen gestorben waren. Auch dort.
Das ist richtig. Es war der schlimmste Krieg im Nahen Osten.
Welche Gründe führten zu der Geheimhaltung des israelischen Atomprogramms? Und wie kann die Atombombe abschreckende Wirkung haben, wenn keiner weiß, dass es sie gibt?
Israel und die USA trafen eine Vereinbarung darüber, dass Israel keine Atomversuche unternimmt und nicht öffentlich den Besitz von Atomwaffen erklärt. Wir halten uns bis heute daran. Die Vereinbarungen ermöglichten uns die Entwicklung in vielen Bereichen, ohne dass wir internationale Sanktionen fürchten mussten. Trotzdem blieb das Programm natürlich nicht geheim.
Die Forschungsstation wurde entdeckt, schon als sie sich noch im Bau befand.
Was in Dimona passiert, konnte schon deshalb nicht geheim gehalten werden, weil die Forschungsstation mit französischer Technologie ausgerüstet wurde. Die französische Regierung hatte die Baupläne vorliegen und sicher an andere Regierungen weitergeleitet, und zwar mit solcher Genauigkeit, dass sie beinahe über jede Schraube Bescheid wissen musste. Dazu kamen Besuche US-amerikanischer Delegationen in Dimona selbst. Das Geheimnis war ein Mediengeheimnis. Die Nachrichtendienste wussten sehr wohl, was in Dimona passiert. Ich bin sicher, dass es heute keinen Nachrichtendienst in Westeuropa und östlich davon gibt, der nicht davon ausgeht, dass Israel atomare Waffen in nicht geringer Zahl hat.
Hat Israel jemals einen Atomversuch unternommen?
Bis heute ist nichts davon bekannt, dass Israel einen Atomversuch unternommen hat.
Dann weiß also niemand, ob sie funktioniert?
Man geht heutzutage davon aus, dass die Bombe beim ersten Mal funktioniert. Versuche waren in den 60er- und 70er-Jahren nötig, heute nicht mehr.
Warum hat dann Nordkorea den Versuch unternommen?
Aus propagandistischen Gründen.
Sie rufen dazu auf, internationale Beobachter nach Dimona zu lassen, nicht aber die Waffen abzurüsten?
Richtig. Israel darf sich so lange nicht von den Waffen trennen, solange die Zukunft nicht gesichert ist. Es gab einige Situationen, wo man in Israel glaubte, vor großer Gefahr zu stehen und wo die atomare Bedrohung die Gefahr stoppte. Das klassische Beispiel ist Saddam Hussein. Obwohl er chemische Sprengköpfe hatte, griff er Israel nur mit konventionell bestückten Raketen an. Er wusste, mit welcher Reaktion er zu rechnen hatte. Eine ähnliche Situation kann sich auch mit Iran ergeben.
Es gibt nicht wenig Israelis, die schon die Koffer bereitstellen. Gehören Sie dazu?
Für mich gibt es keinen anderen Ort als Israel. Ich glaube auch nicht, dass es nötig ist wegzugehen. Unser vor 40 Jahren begonnenes Programm sichert die Existenz des Staates. Wer sagt, dass Israel nur die Wahl hat zwischen angreifen und Kofferpacken, der hat nicht nachgedacht.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL