: Beschnitten, nicht verstümmelt
Nicht mehr nur Opfer sein: MigrantInnen wollen selbst entscheiden, wie sie gegen Beschneidung von Mädchen in Deutschland vorgehen. Die Aktionen westlicher Frauenrechtlerinnen für die Rechte von Afrikanerinnen seien oft latent diskriminierend
VON COSIMA SCHMITT
Aus Sicht von Fana Asefaw ist die Absicht redlich, aber der Weg verfehlt. Frauen – meist weiß und deutsch – wollen dunkelhäutige Mädchen davor beschützen, ein Leben lang unter einem verstümmelten Genital zu leiden. Sie fordern mehr staatliche Kontrolle. Doch längst nicht jede Migrantin freut sich über den ungebetenen Beistand. „Oft ist das doch nur ein willkommener Vorwand, Klischees über ‚primitive Völker‘ abzurufen“, sagt Fana Asefaw, Ärztin und Mitglied der Antibeschneidungsorganisation „Forward“. „Die gut gemeinten Aufklärungskampagnen dürfen nicht auf Kosten der hier lebenden Migranten erfolgen.“
Der heutige „4. Welttag gegen weibliche Genitalverstümmelung“ wirft ein Schlaglicht auf ein ungelöstes Dilemma: Wie gelingt es, Mädchen vor Beschneidung zu schützen – ohne ihre Eltern unter Generalverdacht zu stellen?
Nach Schätzungen von Terre des Femmes (TDF) leben in Deutschland mindestens 19.000 Frauen, deren Genitalien beschnitten sind – und 4.000 Mädchen, denen dieses Schicksal drohen könnte. Genaue Daten, wie viele Eltern ihre Töchter beschneiden lassen, sind allerdings nicht bekannt. Eine Ahnung, dass das Problem zumindest existiert, erlaubt eine Unicef-Studie von 2005. Dort gaben zehn Prozent der befragten Frauenärzte an, sie hätten von illegal vorgenommenen Genitalverstümmelungen gehört.
Die Debatte beginnt schon bei der Begrifflichkeit. In der öffentlichen Diskussion hat sich der Ausdruck „Genitalverstümmelung“ eingebürgert. Nur damit, so die Argumentation, lasse sich die Tragweite des Eingriffs einfangen. Migrantinnen wie Asefaw aber verwenden lieber den Ausdruck „Beschneidung“ und argumentieren mit der Würde der betroffenen Frau: Ist es nicht demütigend, als Verstümmelte bezeichnet zu werden? Werden Frauen so nicht erst recht stigmatisiert? Asefaw etwa hat für ihre Doktorarbeit beschnittene Frauen aus Deutschland und Nord-Ost-Afrika interviewt. Ein Ergebnis: Gerade die hier lebenden Frauen leiden psychisch sehr unter den Folgen des Eingriffs. Ein Grund ist die Reaktion der Ärzte, die oft verstört und hilfslos auf eine beschnittene Patientin reagieren. Immerhin dieses Problem haben auch die Mediziner selbst erkannt. Vor einiger Zeit veröffentlichte die Bundesärztekammer Tipps, wie Gynäkologen auf eine beschnittene oder gar zugenähte Schwangere reagieren sollten. Dass Ärzte gezielt geschult werden sollten, darüber sind sich auch die Frauenrechtlerinnen einig.
Konsensfähig sind zudem Vorhaben, die nicht zwischen schwarzen und weißen Kindern unterscheiden – etwa die Idee, bei den „Us“, den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, genauer als bisher die Genitalien zu untersuchen.
Höchst umstritten aber ist der Weg, darüber hinaus auf Zwangsmittel zu setzen. „Eine Möglichkeit, Gefährdete zu schützen, besteht darin, das Mädchen vor und nach dem Auslandsaufenthalt zu untersuchen“, sagt etwa TDF-Vorsitzende Christa Stolle. Auch der Verein „Intact“, in dem sich zum Beispiel Lafontaine-Ehefrau Christa Müller engagiert, fordert eine solche Untersuchungspflicht. Solange Nzimegne-Gölz von der „Gesellschaft für die Rechte afrikanischer Frauen“ aber lehnt eine solche Sonderbehandlung ab. „Wir finden Vorschriften, die alleine für afrikanische Mädchen gelten sollen, diskriminierend.“ Auch Asefaw teilt diese Skepsis. Sie wirbt für Methoden, die Afrikanerinnen nicht bevormunden. „Stärker als bisher sollten Migrantinnen als Aufklärerinnen einbezogen werden“.