Die letzte Meile geht jeder allein

NORDFRIESLAND Bei Flensburg bemühen sich private Zweckverbände um den Ausbau der Internet-Infrastruktur. Doch die hohen Kosten machen die Versorgung schwierig. Impressionen aus der Gemeinde Lindewitt

„Wow!“ denkt er dann, wenn er über die Glasfaserleitungen bei Ebay surft, das ist also das Internet

Mit dem Leben auf dem Land ist es mitunter wie beim Sport. Geht einem auf der Zielgeraden die Puste aus, wird man überholt und abgehängt. In der Provinz ließe sich die Zielgerade auch die „letzte Meile“ taufen, jener Streckenabschnitt zwischen dem Internet Kabelverzweigerkasten (KVZ) innerhalb einer Ortschaft und dem Eigenheim. Wurde der KVZ bereits mit der zukunftsweisenden Glasfasertechnologie ausgerüstet, rauschen die Daten mit High-Speed hinein. Doch wie die Daten danach auf der „letzten Meile“ in die Häuser kommen – ob weiterhin über teure Glasfaser oder nur über die bestehenden und langsamen Kupferleitungen –, darüber entscheidet die Finanzlage der Gemeinde. Einige Ortschaften können die hohen Kosten aufbringen, andere nicht.

Die Leute hauen ab, sagt Wilhelm Krumbügel, Sozialpädagoge und Bürgermeister von Lindewitt, einer Gemeinde mit 2.000 Einwohnern, 25 Kilometer südwestlich von Flensburg gelegen. Die Grundschule von Lindewitt wurde bereits geschlossen. Krumbügel will der Landflucht mit einer Kita entgegenwirken, aber gibt es keine zeitgemäße Internet-Infrastruktur, kommen keine jungen Familien und auch keine Betriebe.

180.000 Euro hat Lindewitt deshalb selbstständig eingesammelt, dazu Finanzspritzen aus EU- und Landesfördertöpfen, damit es bei ihnen so werden kann wie im Nachbarkreis Nordfriesland; dort wurde jedem Bewohner und Betrieb, der wollte, ein Glasfaseranschluss gelegt (taz berichtete).

Den Zuschlag für Lindewitt bekam die Breitbandversorgung Schafflund GmbH (BVS), ein Zusammenschluss aus 16 Biogas- und Wärmegesellschaften. „Die Anwohner können jetzt auf schnelleres DSL zugreifen“, sagt Ove Brodersen vom BVS. Statt zeitgemäßem High-Speed also doch nur „schnelleres DSL“? Ja, denn die Glasfasern wurden lediglich bis zu den alten örtlichen Kabelverzweigern (KVZ) der Telekom gelegt, erklärt Brodersen. So gibt es zwar keinen Geschwindigkeitsverlust mehr über die Langstrecken. Aber nach wie vor innerhalb der Ortschaft. Auf der „letzten Meile“ zum Endkunden kriechen die Daten weiter durch die alten Kupferleitungen.

Brodersen betont, der Nutzer könne nun immerhin bis zu 50 Megabit DSL empfangen. Tatsächlich aber müsste man, um diesen Höchstwert zu erreichen, in unmittelbarer Nähe zum Verteiler wohnen. Je entferntem Meter vom KVZ schwächt sich das Signal deutlich ab. Gerüstet für die Zukunft ist man also auch weiterhin nicht, bedauert Krumbügel.

Mancherorts sieht es sogar noch schlimmer aus. Das Internet sei „genauso lahmarschig wie früher“, klagt Frerk, der auf einem Bauernhof im Ortsteil Riesbriek wohnt, ein paar Kilometer westlich vom Zentrum Lindewitts entfernt. Um überhaupt am „Erlebnis Internet“ teilzuhaben, bleibe er einfach nach der Arbeit länger im Büro im 60 Kilometer entfernten Kropp sitzen. „Wow!“ denkt er dann, wenn er über die dortigen Glasfaserleitungen bei Ebay surft, das ist also das Internet, von dem alle sprechen. In Riesbriek ist Frerks Alternative das Smartphone. Wenn seine Mitbewohnerin abends nach Hause kommt, gibt es freilich einen Stau auf der Smartphone-Frequenz. „Dann ist es wie damals auf dem Hausrechner.“

Um mehr als die Infrastruktur-Grundlage zu fördern, hätte es deutlich mehr Eigenkapital gebraucht, sagt BVS-Mann Brodersen. Das hatte man aber schlicht nicht zu Verfügung. Und die Banken seien mit Krediten zögerlich, weil sie das Glasfasernetz nicht als Sicherheit anrechnen wollen.

Die nordfriesische Breitbandnetz GmbH &Co KG im Nachbarkreis, hinter der finanzstarke Windkraftanlagen-Betreiber stehen, war besser aufgestellt und konnte mehr Geld einsammeln, für ein nahezu kostenfreies Glasfasernetz bis zur Haustür. In Lindewitt wird es teurer: In einem nächsten Schritt will die BVS dort Glasfaser-Hausanschlüsse anbieten. Individueller Kostenpunkt: 300 bis 3.000 Euro, abhängig von Leitungslänge und von der Anzahl der Beteiligten.

Von der Politik in Kiel fühlen sich Krumbügel und Brodersen manchmal alleingelassen. Es fehle an nachhaltigen Finanzierungsmodellen, sagt Brodersen, das Geld aus den Fördertöpfen sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ministerpräsident Torsten Albig wollte das Thema Glasfaser 2012 zur Chefsache machen. Derzeit scheint es eher so, als müssten die Menschen auf dem Land die „letzte Meile“ allein gehen.  E.F. KAEDING