: „Bin offen für Untersuchungen“
LEICHTATHLETIK Der Weitspringer Markus Rehm startet mit einer Unterschenkel-Prothese bei den deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten – und stößt auch auf viel Skepsis
INTERVIEW SUSANNE ROHLFING
taz: Herr Rehm, seit Sie die Norm für die deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten gesprungen sind und nun dort antreten wollen, wird Ihre Leistung nicht mehr nur mit Anerkennung, sondern auch mit Zweifeln betrachtet. Haben Sie damit gerechnet?
Markus Rehm: Ich habe damit gerechnet, aber es ist natürlich schade. Bei jeder guten Leistung kommt die Frage, woher sie kommt. Bei mir ist es eben die Prothese.
Können Sie verstehen, dass die Menschen glauben, ein künstliches Bein könnte leistungsfähiger sein als ein echtes?
Ich bin ja selbst Techniker, und inzwischen kommen Kunden und haben die Vorstellung, ein künstliches Bein werde direkt an die Nerven angeschlossen und sei viel besser als ein normales. Das wird oft so einfach dargestellt. Ein bisschen Metall drunter, und schon geht die Post ab. Das ist einfach falsch. Und die Probleme werden gar nicht aufgegriffen – etwa dass so eine Prothese erst mal passen muss.
Aber Ihre Prothese ist nun mal eine hochmoderne Feder aus Karbon.
Ja, ich verstehe die Zweifel ja auch. Natürlich federt die Prothese – muss sie ja auch. Der Sinn eines Sprunggelenkes, das ich nicht mehr habe, ist es ja, meinen Unterschenkel zu beschleunigen. Ich gebe Energie in meine Prothese rein und bekomme die hinterher wieder heraus. Das ist das, was sonst meine Wadenmuskulatur machen würde. Die muss ich ja irgendwie ersetzen.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Prothese besser ist als Ihr Bein?
Wenn ich das Gefühl hätte, würde ich gar nicht bei den Nichtbehinderten mitspringen wollen. Da bin ich Sportsmann genug.
Warum wollen Sie mitspringen? Um es überspitzt zu formulieren: Muss jemand mit einem Bein unbedingt bei den deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten dabei sein?
Wenn ich die Leistung bringe und keinen nachgewiesenen Vorteil habe, warum nicht? Warum soll ich kein guter Athlet sein, nur weil mir ein Bein fehlt? Vielleicht wäre ich ein toller Athlet und würde noch weiter springen, wenn ich zwei Beine hätte. Ich habe schon von Athleten gehört, die sagen, wenn sie so eine Prothese hätten, würden sie auch so weit springen. Das ist völliger Blödsinn. Wenn die so eine Prothese hätten, müssten sie erst mal lernen, geradeaus zu laufen.
Vielleicht springen Sie mit Ihrer Prothese aber eines Tages zehn Meter.
Das wäre doch super, dann muss die Grube ausgebaut werden. Im Ernst: Es heißt öfter mal, ich müsse doch nur an meiner Prothese rumschrauben. Auch Blödsinn. Wenn ich sprinte, habe ich nicht das Gefühl, dass mein gesundes Bein nicht hinterherkommt, sondern meine Prothese. Die ist meine größere Schwachstelle. Na klar, man kann drüber nachdenken, da eine Hydraulik einzubauen, die mich über den Sandkasten schmeißt. Aber das ist heute absolut noch nicht machbar. Und ich denke auch, dass man die Prothesen reglementieren muss. Bis vor ein paar Jahren ist man gar nicht auf die Idee gekommen, dass eine Prothese besser sein könnte als ein gesundes Bein. Inzwischen muss man überlegen, ob wir immer bessere Prothesen wollen, um irgendwann weiter zu springen und schneller zu laufen als die Nichtbehinderten – oder ob wir das reglementieren wollen.
Sind Sie überzeugt, dass sich zeigen wird, dass Sie keinen Vorteil durch Ihre Prothese haben?
Ich glaube schon, aber ich kann es nicht nachweisen. Deshalb bin ich offen für Untersuchungen. Die nächste Stufe des Dopings könnte dann sein, dass sich Athleten ihre Gliedmaßen durch künstliche ersetzen lassen, um eine bessere Leistung zu bringen. Ich sage immer: Wenn das so toll ist mit Prothese, dann fahrt in den Baumarkt, da gibt es Sägen. Aber das ist dann für immer.
Wie sehr trifft es Sie, ständig Ihre Leistung rechtfertigen zu müssen?
Auf Dauer nervt das schon, aber ich kann fast drüber lachen. Früher wurde der Behindertensport belächelt, heute hat man fast schon Angst vor uns – eigentlich witzig.
Haben Sie bei all den Diskussionen jetzt Sorge, 8,05 Meter, also die Norm für die Europameisterschaften der Nichtbehinderten, zu springen?
Nein, ich hoffe, dass ich die springe. Je mehr negative Stimmen ich höre, desto mehr Lust kriege ich, so weit zu springen.
Was passiert dann?
Das würde auf jeden Fall für weiteren Gesprächsstoff sorgen. Jetzt will ich aber erst mal in Ulm mitspringen und einen schönen Wettkampf haben.
■ Markus Rehm, 25, ist Weitspringer und Sprinter. Am rechten Bein trägt er eine Prothese – nach einem Unfall musste sein rechter Unterschenkel amputiert werden. Rehm startete bislang im Behindertensport und gewann 2012 die Goldmedaille bei den Paralympics in London. Der Orthopädietechniker-Meister hält bei den Menschen mit Behinderung den Weitsprung-Weltrekord (7,95 Meter). Im Februar schaffte er die Qualifikation für die deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten, die an diesem Wochenende in Ulm stattfinden.