: „Über Feindbilder sprechen“
Für arabische Jugendliche ist „der Jude“ Feindbild: Wie der Nahostkonflikt und antisemitische Stereotype verwoben sind. Und wie man Hass durch Aufklärung und Empathie bekämpfen kann
INTERVIEW EDITH KRESTA
taz: Arabische Jugendliche stehen unter sehr aufmerksamer Beobachtung. Weil sie angeblich gewalttägiger seien, weil sie offen antisemitisch sind. Stimmt es, dass der Antisemitismus unter diesen Jugendlichen zugenommen hat.
Michael Rump-Räuber: Ob es immer stärker wird, kann ich nicht sagen. Es ist auf jeden Fall ein Thema. Hier in Berlin hat die Schulverwaltung 2005/06 insgesamt 80 Vorfälle mit extremistischem Hintergrund unter Schülern registriert – davon sind 8,75 Prozent als antisemitisch eingestuft. Wir sprechen also nicht über eine Massenerscheinung, sondern über einzelne Fälle …
… die deswegen nicht weniger beunruhigend sind.
Jeder Fall ist einer zu viel. Und es stimmt ja auch, dass es arabische Jugendliche an Berliner Schulen gibt, die in ihren Äußerungen Juden als kollektives Feindbild immer wieder benutzen – und so weiter transportieren. Das ist eine Auseinandersetzung, der wir an den Schulen nicht aus dem Weg gehen dürfen.
Wie kann das gehen?
Lina Ganama: Es ist wichtig, dass wir mit den Jugendlichen und den Familien zugleich arbeiten.
Rump-Räuber: Wir müssen mit den Jugendlichen darüber sprechen, wie Feindbilder entstehen. Denn Feindbilder führen zu Hass und aus diesem Hass heraus beginnt man, sich gegenseitig zu verletzen. Wir müssen den Jugendlichen deutlich machen, dass aus so einem Konflikt niemand als Sieger herausgehen kann. Wir brauchen Verständigung. Hass aber verhindert das.
Kann man Jugendliche über Diskurse erreichen?
Rump-Räuber: Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht. Man ist nicht ohne jede Chance. Denn es nicht so, dass jeder arabische Jugendliche, der Jude als Schimpfwort benutzt, gleich ein verfestigtes antisemitisches Weltbild hat.
Sondern? Wie ist das gemeint?
Ganama: Wenn diese Jugendlichen von „den Juden“ sprechen, dann meinen sie die Israelis.
Rump-Räuber: Aber ich darf derartige Schimpfwörter nicht ignorieren. Wenn ich das ignoriere und sage: „Das ist ja nur ein Schimpfwort“, dann schaffe ich eine Situation, wo sich Feindbilder festsetzen können und nicht mehr hinterfragt werden. Es ist immer notwenig, bei solchen Äußerungen einzugreifen.
Oft geht es gar nicht mehr um Religion, sondern beispielsweise um das Stereotyp der „jüdischen Weltverschwörung“. Dieses Stereotyp ist bei fast allen arabischen Jugendliche leicht abrufbar. Ist der Antisemitismus der Araber deckungsgleich mit dem europäischen?
Rump-Räuber: Es gibt ohne Zweifel einen gefestigten Antisemitismus in der arabischen Community, auch in den arabischen Medien. Dazu gehören: Schmähung und Verunglimpfung der Juden als Kollektiv, der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung und der Mythos vom reichen Juden. Wenn zum Beispiel der Potsdamer Platz als „Juden-Platz“ bezeichnet wird, wo alle reichen Juden wohnen, dann ist dies ein manifestes Vorurteil, dem wir immer wieder bei arabischen Jugendlichen an der Schule begegnen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem alten Stereotyp und dem aktuellen Nahostkonflikt?
Ganama: Es wird verknüpft. Deshalb müssen die Schulen das Nahostproblem sehr offensiv zum Thema machen. Man muss die Geschichte Palästinas betrachten. Die Palästinenser fühlen sich nämlich sehr schnell als Opfer, wenn eine Nachricht wie diese aus dem Nahen Osten kommt: Ein israelischer Soldat wurde getötet und seine Mutter weint. In der Vorstellung der Palästinenser spricht aber niemand vom palästinensischen Leid. Da ist oft die Quelle ungeheuerer Wut.
Rump-Räuber: Dennoch dürfen wir nicht zulassen, dass der Nahostkonflikt als Entschuldigung für Antisemitismus und Feindbilder herangezogen wird. Es gibt eine Grenze und die fängt dort an, wo man das Existenzrecht des Staates Israel anzweifelt. Wenn ein arabischer Jugendlicher sagt, sein Ziel sei es, so viele Israelis wie möglich zu töten, dann hat das nichts mehr mit einer Kritik am Nahostkonflikt zu tun. Das ist Hass. Wir dürfen nicht zulassen, dass Bilder aus dem Nahostkonflikt in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen dazu manipuliert werden, um gegen eine Gruppe von Menschen, die Juden, kollektiv vorzugehen. Ein palästinensischer Schüler wollte in unserer Klasse eine Schweigeminute für die Toten in seinem Dorf nach einem israelischen Angriff abhalten. Wir haben darüber diskutiert. Auf den Hinweis, dass Hass immer wieder Hass gebiert, sagte er, „aber ich muss doch hassen dürfen.“
Wenn so starke Emotionen im Spiel sind: Reicht es dann aufzuklären?
Rump-Räuber: Bildung alleine reicht nicht aus. Es gibt hier ein gutes Projekt des Landes Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und dem American Jewish Committee. Es nennt sich Youth Leader gegen Antisemitismus. Da haben sich Schüler in ihrer Freizeit mit dem Thema Antisemitismus auseinandergesetzt, darunter auch türkische Jugendliche. Die entscheidende Erfahrung war, Bildung reicht nicht – sondern man muss auch über die soziale Kompetenz verfügen, die Perspektive zu wechseln und Empathie zu empfinden.
Wie kann man das konkret befördern?
Rump-Räuber: In das Training gegen Antisemitismus sind sehr viele Übungen eingebaut, in denen Jugendliche sich damit auseinandersetzen, wie Vorurteile entstehen. Diese Jugendlichen haben ihre Erfahrung an andere Jugendliche weitergegeben. Ein sehr erfolgreiches Projekt.
Unter den Palästinensern gibt es viele Staatenlose. Wie kann eine sozial derart an den Rand gedrückte Gruppe über das eigene soziale Elend hinaus Empathie entwickeln?
Rump-Räuber: Gerade unter solchen Bedingungen ist es wichtig, dass Schüler über das Kognitive hinaus eigene Identitäten entwickeln, die das Zusammenleben in unserer Gesellschaft fördern. Die Youth Leader wurden auch dadurch gestärkt, dass sie andern Jugendlichen etwas beibringen konnten und damit wichtig wurden. Indem die Medien über sie berichtet haben, wurde ihre Arbeit anerkannt. Das heißt: Wir müssen Anerkennungsformen bei diesen Jugendlichen entwickeln.
Ganama: Medien berichten aber wie im Fall des Antisemitismus an einer Berliner Oberschule immer nur über schlechte Sachen. Der Streit zwischen zwei Mädchen, den andere monatelang zum Angriffen auf das jüdische Mädchen nutzten, wurde sehr eindimensional thematisiert. Zunächst war es eine Eifersuchtsgeschichte.
Rump-Räuber: Ich denke nicht, dass sich der Vorfall dort auf eine Eifersuchtsgeschichte reduzieren lässt. Aber ich hätte mir auch gewünscht, dass im Anschluss an die Berichterstattung über die Ereignisse die Medien auch darüber berichten, wie mit dieser Situation umgegangen wurde.
Ist denn die arabische Community offen für Kritik an ihrem Antisemitismus?
Ganama: Es gibt viel Unrecht, das macht es schwierig. Die meisten Araber hier sind vom Nahostkonflikt tangiert. Sie müssen selber lernen, mit ihrer Geschichte umzugehen. Das ist sehr schwierig. Es gibt antirassistische Programme, denen müssen sich auch die Mitglieder der arabischen Community stellen. Die arabische Community muss einbezogen werden – selbst wenn man nur 10 Prozent erreicht.
Rump-Räuber: Ich bin optimistisch, dass es in der arabischen Community Partner gibt, mit denen man gegen Antisemitismus zusammenarbeiten kann.
Das angegriffene jüdische Mädchen von der Lina-Morgenstern-Schule besucht nun zu ihrem Schutz die jüdische Oberschule. Ist es denn sinnvoll, arabische und jüdische Schüler zu trennen?
Ganama: Im Gegenteil, sie müssen lernen, sich auseinanderzusetzen, und sich besser kennenlernen. Damit die neue Generation eine neue Chance bekommt.
Rump-Räuber: Eine Trennung von arabischen und jüdischen Schülern halte ich nicht für sinnvoll. Die Bedingungen an der Berliner Schule sind so, dass Schüler – egal welchen Glaubens – gemeinsam unterrichtet werden können. Insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus erfordert einen langen Atem. Durch Netzwerke, bestehend aus Standpunktpädagogen, Schulpsychologen, Vertreter des Jugendamtes und der Polizei, haben wir in den Bezirken Bedingungen geschaffen, um die Schulen in dieser Auseinandersetzung zu unterstützen.