: Gegen den Absolutismus
JUGENDPROTEST Die Bundesregierung äußert sich nicht zur anhaltenden Repression der marokkanischen Bevölkerung
AUS MAROKKO ANJA HOFFMANN
Am 24. Februar reisten Außenminister Guido Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel nach Ägypten. Offiziell, um die „demokratische Revolution“ zu unterstützen. Der deutsche Außenminister äußerte die Hoffnung, dass diese „erfolgreich für alle Menschen in Ägypten“ sei, und lobte die Ägypter als „stolzes Volk“. Als Westerwelle einen Tag später seinen marokkanischen Amtskollegen Fassi-Fihri in Berlin empfängt, ist Solidarität mit demokratischen Bewegungen aus der Bevölkerung kein Thema mehr. Die beiden Amtsinhaber geben sich als Kooperationspartner, für „demokratische Reformen“ und gegen weiteres Blutvergießen in Libyen. Die Repressionen des marokkanischen Regimes gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger bleiben unerwähnt.
Am 20. Februar demonstrieren Zehntausende vor allem junge BürgerInnen in 53 Städten Marokkos. Die zu den Protesten aufgerufen haben, nennen sich selbst „Bewegung 20. Februar“. Nie zuvor wurden in Marokko von einer so breiten Bewegung politische Forderungen auf der Straße gestellt. In Rabat lautet einer der Slogans: „Das Volk will das Ende des Absolutismus.“ Sie verlangen die Reform der Verfassung, die Einschränkung des königlichen Machtmonopols sowie das Ende der Vormachtstellung einiger weniger korrupter Familienclans. In einem Land, in dem jede Kritik des Monarchen untersagt und die Meinungs- und Pressefreiheit in den letzten Jahren stark eingeschränkt wurde, bedarf es großen Mutes, solche Forderungen zu stellen. Die marokkanische Regierung bedient sich im Umgang mit den Protesten einer Doppelstrategie. Öffentlich gibt sie sich demonstrativ gelassen und inszeniert sich als toleranter Rechtsstaat. Der Kommunikationsminister Khalid Naciri lobt vollmundig die „Meinungsvielfalt“ der Jugendlichen, bezeichnet ihre Forderungen als legitim und verweist auf die laufenden Bemühungen zur Modernisierung des Landes. Vor den Kameras der internationalen Medien übt sich die Polizei in Zurückhaltung.
Doch hinter den Kulissen sieht die Realität anders aus. Politische AktivistInnen berichten von massiven Einschüchterungsversuchen. Sicherheitsbeamte statten Hausbesuche ab und üben auf die Familien der Jugendlichen starken Druck aus. Ihre Organisationsräume werden von der Polizei immer wieder umstellt und Mitglieder der Bewegung verhaftet. Blitzschnell macht am Abend des 25. Februar die Nachricht auf Twitter die Runde: Zwölf „Kameraden“ sind verhaftet worden. Man organisiert sich über Facebook: ein Sit-in vor der Polizeiwache, erst sind es 20, eine halbe Stunde später schon 100. In wenigen Minuten stehen die Namen der Verhafteten auf einem unabhängigen Blog. Es gilt, die Information schnell bekannt zu machen. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an das Verschwinden von Regimekritikern in den 70er Jahren unter Hassan II. Vier Stunden später Erleichterung: alle werden freigelassen. In der Woche nach den Demonstrationen werden weitere kleinere Protestaktionen gewaltsam beendet, die Polizei prügelt auf Demonstranten ein, darunter auch Mitglieder einer marokkanischen Menschenrechtsorganisation.
Wer die Lage in Marokko seit längerem beobachtet, den wird die Reaktion der marokkanischen Autoritäten kaum überraschen. Die Öffnung des Landes, die mit dem Regierungsantritt des als reformorientierten geltenden Mohammed VI. einherging, ist seit einigen Jahren wieder stückweise zurückgenommen worden.
Marokko und Deutschland kooperieren wirtschaftlich eng. Erst am 8. Februar haben der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Dr. Bernd Pfaffenbach, und der marokkanische Industrieminister Ahmed Réda Chami eine Absichtserklärung zu einer gemischten Wirtschaftskooperation unterzeichnet. Deutschland hat klare Interessen, diese betreffen insbesondere die Exportwirtschaft, etwa die in Marokko aufstrebende Automobilindustrie und erneuerbare Energien. Marokko hat als einziges Land des afrikanischen Kontinents einen „Statut Avancé“ mit der Europäischen Union verabschiedet. Seit 2008 ist die Monarchie ein privilegierter Partner auch in der Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Mit der Unterzeichnung des Abkommens hat sich Marokko zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Angesichts der aktuellen Ereignisse liegt es in der Verantwortung der europäischen Partnerländer, die marokkanische Regierung hierauf deutlich hinzuweisen.