Alberts Erde

ERINNERUNG Am 2. August 1914 galoppiert ein deutscher Leutnant auf einen französischen Korporal zu. Hundert Jahre später kommen die beiden ersten Toten des Ersten Weltkriegs wieder zusammen

■ Der Korporal: Jules André Peugeot wird am 11. Juni 1893 in Étupes, einem Nachbarort von Joncherey geboren. Der Vater Jules Albert ist Fabrikangestellter, die Mutter Francine Lehrerin. Auch der Sohn schlägt nach der École normale die Schullaufbahn ein, nach dem ersten Jahr wird er allerdings im Frühling 1914 zum Militärdienst einberufen.

■ Letzte Worte: „Wir sind in einem Getreidefeld, aus dem heraus wir unsere Wachhabenden im Falle eines Angriffs schützen müssen.“ Brief vom 2. August 1914, etwa 10 Minuten vor seinem Tod

AUS ENGER, JONCHEREY UND ILLFURTH THOMAS GERLACH

Im ersten Stock des Widukind-Museums in Enger, einem Städtchen nördlich von Bielefeld, dämmert in einem vergitterten Regal ein merkwürdiges Exponat. Es ist ein Haufen trockener Erde in einer Schale aus Ton, die da steht wie ein Blumentopf. Im Fach darüber findet sich eine Tafel mit zwei Fotos und einer vergilbten Erklärung: „Am 2. August 1914 fiel östlich von Joncherey im Territorium Belfort bei einem Zusammenstoß mit einer französischen Feldwache der Leutnant Albert Mayer vom Jäger-Regiment zu Pferde Nr. 5. Mit ihm sank der erste Gefallene des Weltkrieges ins Grab.“ Von der Tafel blickt ein junger Offizier, die Haare akkurat gescheitelt: Albert Mayer. Die Erde stammt aus seinem Grab.

Sie erzählt vom Beginn des Ersten Weltkriegs. Als Reliquie kam sie nach Enger, zuerst verehrt, dann vergessen, schließlich als Altlast irgendwie übrig. Die Zeit für Mayers Erde geht in Enger zu Ende – dank einer Museumsleiterin, eines Konzeptkünstlers aus Münster und eines Jahrestags, der zwei alte Feinde an ihrem Sterbeort zusammenführen wird.

Bei Museumsleiterin Regine Krull, einer schlanken Frau in Pulli und weiten Hosen, ist die Unentschlossenheit noch zu spüren, wie sie mit der Erde umgehen soll. In eine Vitrine stellen? Undenkbar. Sie diskret in die nächste Rabatte kippen? „Nee, das ist unsere Erde!“, hätten ältere Engeraner ihr gesagt, erzählt Krull. Darauf muss eine Museumsleiterin, zumal als städtische Angestellte, wohl Rücksicht nehmen. Soll man überhaupt an den ersten deutschen Gefallenen von 1914 erinnern, den mit Enger nichts verbindet – außer ein Haufen Erde? Regine Krull verschränkt die Arme. Die Attraktion ist zur Last geworden.

Es muss feierlich zugegangen sein, als die Delegation aus Enger am 7. Mai 1937 auf dem Soldatenfriedhof im elsässischen Illfurth erscheint und aus dem Grab Albert Mayers drei Handvoll Boden entnimmt, „um diese vom deutschen Heldentum geweihte Erde der Wittekindstadt Enger zuzuführen“, wie eine Urkunde festhält.

Die Herren hatten nach einem Schaustück gesucht, das die geplante Widukind-Gedächtnisstätte in ihrer Stadt adeln sollte. Der tausend Jahre alte Sachsenherzog Widukind, dessen Gebeine in der Stiftskirche Enger liegen sollen und Albert Mayer. Zwei Helden, ein Feind: Frankreich. Es ist eine Mischung aus Heimatmuseum und germanischer Kultstätte, die da am 8. Juni 1939 eröffnet wird. Schirmherr ist Heinrich Himmler.

Im „Heldengedenkraum“ liegt ein Totenbuch mit den Namen der Engeraner Gefallenen des Ersten Weltkriegs. An der Wand gegenüber bietet sich Mayers Erde dar wie ein Sakrament.

„Ich habe nie gedacht, dass es wirklich einen Albert Mayer gegeben hat“, gesteht Regine Krull. Die Geschichte klang doch sehr nach teutonischer Saga. Konnte man unter Millionen Toten wirklich einen „ersten Gefallenen“ ermitteln? Würde ein großdeutscher Demagoge, auf der Suche nach einem Helden, nicht auf Namen wie Erich Schmidt und Otto Lehmann verfallen? Oder eben Albert Mayer?

Mayer wird am 24. April 1892 in Magdeburg in die Familie eines Bankiers hineingeboren. Gern wäre er Turnierreiter geworden, doch er fügt sich der Familientradition: Ein Bruder wird Arzt, ein zweiter Pfarrer, er soll einmal der Offizier sein. Ab 1913 ist Mayer in Mühlhausen im Elsass stationiert. 1914 ist er Leutnant beim Jäger-Regiment zu Pferde Nr. 5.

Es beginnt der Sommer der Feindseligkeiten. In Sarajewo wird am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger erschossen. Einen Monat später erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. In Österreich, Russland und Belgien läuft die Generalmobilmachung. Albert Mayers Jäger bekommen Order für einen Ritt über die Grenze nach Frankreich. Eine Provokation. Der Krieg ist noch nicht erklärt, der Ritt ein Bruch des Völkerrechts.

Mayer nimmt die Pistole, duckt sich. Peugeot schießt

Die Frage ist jetzt, wer die Patrouille anführt? Die Offiziere entscheiden mit dem Strohhalm. Mayer zieht den Kürzeren und wird Patrouillenführer. So könnte es dem französischen Historiker Marc Glotz zufolge gewesen sein, der unterschiedliche Quellen zusammengefasst hat. Am Vorabend des Ritts schreibt Mayer seinen Eltern. Die Mobilmachung begeistert ihn. Doch er mutmaßt auch, dass der Brief sie erst erreichen könnte, „wenn ich schon und mein Regiment an Orten sind, wo keine Menschenmacht uns mehr zurückholt. Nicht dass ich pessimistisch wäre, aber ich glaube, ein gewisses Gefühl der Vorsicht wohnt doch jetzt in jedem.“

Mit sechs Untergebenen reitet er am 1. August los. Es geht zum Dörfchen Bisel nahe der schweizerischen Grenze. Am Morgen treiben sie ihre Pferde westwärts gen Frankreich. Mayer ist mit Säbel und Revolver bewaffnet. Das erste französische Dorf umgehen sie, durch das zweite preschen sie im Galopp. Das dritte heißt Joncherey. Einige hundert Meter davor befindet sich das Gehöft der Docourts. Fünf französische Soldaten liegen dort seit dem Morgen. Ihr Vorgesetzter, Jules André Peugeot, ist 21 Jahre alt, Korporal und im Zivilberuf Lehrer. Er stammt aus dem nahen Étupes.

Die Gewehre sind geladen, und auch Peugeot findet Zeit, seinen Eltern zu schreiben. Er erzählt, wie sie sich in der Schweiz Kaffee besorgten, und endet: „Noch ist nichts Schlimmes passiert. Macht Euch keine Sorgen.“

Zehn Minuten später Rufe: „Die Preußen kommen!“ Eine Frau hatte beobachtet, wie eine deutsche Patrouille am Waldrand aufgetaucht ist und sich nähert. Als Mayer erkennt, dass sie entdeckt sind, nimmt er die Pistole in die eine, den Säbel in die andere Hand, duckt sich, galoppiert zur Straße und will auf Joncherey zuhalten. Da eilt Peugeot aus dem Haus, kniet nieder und drückt ab. Mayer feuert dreimal. Eine Kugel geht ins Mauerwerk, eine zweite in die Tür, die dritte trifft Peugeot. Der blutet, will zurück ins Haus und bricht zusammen. Ob Peugeot getroffen hat, ist unklar. Seine Kameraden schießen auf Mayer, in die Seite, in den Kopf. Der stürzt in den Graben. Die anderen Deutschen können fliehen, werden aber bald gefangen genommen.

Nach der Schießerei trägt man die beiden Toten in eine Scheune. Da liegen die ersten Gefallenen des Weltkriegs beieinander auf blutigem Stroh, der Franzose mit einer zerfetzten Aorta, der Deutsche mit zerschossenem Schädel.

Am Nachmittag ordnen Berlin und Paris die Generalmobilmachung an. Mayers Patrouille war nur eine von 16 deutschen Grenzverletzungen an diesem Tag.

Freund und Feind werden feierlich bestattet. Mayer bekommt am 3. August in Joncherey eine Beisetzung mit allen militärischen Ehren. Peugeot wird von seinen Eltern heimgeführt und am 4. August in Étupes begraben.

Am Tag von Mayers Beerdigung erreicht dessen Mutter ein Telegramm: Ihr Sohn sei auf französischem Gebiet verwundet und in das Lazarett Belfort gebracht worden. „Er führte mit Kühnheit einen ihm anvertrauten Patrouillenritt aus. Das Regiment ist stolz auf sein Verhalten und hofft zuversichtlich auf die Erhaltung seines Lebens“, fantasiert Oberstleutnant Ullmann. Die Depesche am 7. August ist kürzer: „Leutnant Mayer starb den Heldentod ohne Leiden.“

Es hatte vermutlich politische Gründe, dass Mayer fünf Tage lang auf dem Papier weiterleben musste. Das Deutsche Reich erklärte Frankreich einen Tag nach Mayers Tod den Krieg – folglich konnte es noch keine Gefallenen geben.

Joncherey ist seit dem Scharmützel zu einem Hauptort auf der französischen Landkarte der Schlachten und Kriege aufgestiegen. Das erste Denkmal für Jules André Peugeot, eine mächtige Säule, wird 1922 gegenüber dem Gehöft Docourt eingeweiht. Mayers Überreste liegen da schon nicht mehr auf dem Dorffriedhof. 1920 sind sie auf den deutschen Soldatenfriedhof Illfurth umgebettet worden.

Sechs Jahre später bekommt auch Mayer sein erstes Denkmal. Überlebende aus seinem Bataillon errichten in Müllheim im Breisgau ein Türmchen mit Blick nach Joncherey. Die Soldaten haben einen Wunsch: Unter dem Schriftzug mögen Mayers Gebeine wie in einem Mausoleum ruhen. Familie Mayer lehnt ab. Bis zum Eintreffen der Herren aus Enger hat Mayer in Illfurth Ruhe.

Trotz aller Inbrunst wurde die Gedächtnisstätte keine großdeutscher Hit, erzählt Museumsdirektorin Regine Krull. „Die Eröffnung kam zu spät.“ 1939, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, bediente man sich lieber beim Eroberer Karl dem Großen als bei Widukind, der nur Haus und Sippe verteidigte. Die ideologische Ausrichtung war nicht mehr zeitgemäß.

Und während Widukind und Albert Mayer zu Lokalheiligen herabsinken und vor allem Einheimische anlocken, ziehen deutsche Soldaten wieder gen Westen. Sie kommen auch nach Joncherey. Am 17. Juli 1940 sprengen die Besatzer das Denkmal für Peugeot. Nur der Sockel widersteht. Darauf pflanzen Franzosen nach dem Abzug der Deutschen ein hölzernes Lothringerkreuz – das zweite Denkmal.

Liegt es an den Beharrungskräften der Provinz? Ist es Lokalpatriotismus? Achtlosigkeit? Albert Mayers Erde hat nach dem Ende des „Tausendjährigen Reichs“ noch lange nicht ausgedient. Regine Krull kann es heute noch nicht fassen, dass die schaurige Stätte einfach fortbestand. Ein Treueschwur Hitlers schmückt weiter die Wand. Nur der Namenszug wurde übertüncht. „Es gab nur eine leichte Entnazifizierung.“

Während in Westfalen der Germanenkult überdauert, wird 1959 für Jules André Peugeot ein neues Denkmal errichtet, ein schlichtes Monument aus rotem Stein. „Hier ist am Sonntag, den 2. August 1914, Korporal Jules André Peugeot vom 44. Infanterie-Regiment gefallen. Mehr als 30 Stunden, bevor das imperiale Deutschland Frankreich den Krieg erklärte, floss hier das erste französische Blut“, klagen metallene Lettern. Das Mahnmal bietet ein paar Stufen und Bühne genug für die alljährliche Gedenkveranstaltung. Längst hat sich das Dorf ausgedehnt. Auf dem Feld, über das Mayer preschte, stehen Einfamilienhäuser.

Albert Mayers unfreiwilliges Amt als Held endet 1978. Da schließen die Stadtoberen die Stätte. Mayers Erde erhält Asyl in der Feierhalle des städtischen Friedhofs. Vielleicht würde die Schale dort heute noch stehen, wenn nicht die neue Museumsleiterin Regine Krull die Erde einfach an sich genommen und in der ehemalige Gedächtnisstätte im Archiv eingeschlossen hätte. Seit der Neueröffnung des Museums erinnert sie mit anderen NS-Devotionalien an den verflossenen Widukind-Kult – gut gesichert hinter Gittern.

Der Künstler bringt die Erde in die Schule

„Giftschrank“, sagt Ruppe Koselleck dazu. 2011 hatte Regine Krull dem Konzeptkünstler aus Münster von ihrer Altlast erzählt. Koselleck, ein 46-Jähriger mit wachen Augen, wird so etwas wie ein Anwalt Albert Mayers. Wie kein Zweiter kennt er dessen Leben – vor allem das Nachleben. Für Koselleck wird der Umgang mit Pathos, Heldentum und Erinnerungskultur eine Einladung zum Nachdenken, zum kreativen Spielen.

Für bisherige Kunstaktionen schlich sich Koselleck in Ikea-Einrichtungshäuser, wo er Geldscheine versteckte. Den BP-Konzern will er seit Jahren mittels im Meer gefundener Ölklumpen „feindlich übernehmen“. Kosellecks Kunst ist politisch.

Bei der Graberde beschäftigt ihn die Instrumentalisierung eines 22-jährigen Soldaten. „Mayers Erde“ nennt Koselleck sein Projekt. Die Erde ist in Aktion wie seit 1937 nicht mehr. „Macht was draus!“, ruft er zwei Schulklassen in Münster und Enger zu. Die Jugendlichen füllen die Erde in Pokale, werfen sie in die Luft, betasten sie. Sie sollen ein Gefühl bekommen für den Kult, für den Krieg, für Albert Mayer. Allerdings experimentieren sie nicht mit der echten Erde, wie Koselleck betont. Deren Aura lässt er physikalisch prüfen. In Illfurth nimmt er eine Bodenprobe, damit sie an der Universität Münster mit Mayers Erde verglichen werden kann. Das Ergebnis: Sie stammt mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ wirklich vom Soldatenfriedhof.

■ Der Leutnant: Albert Mayer wird am 24. April 1892 in Magdeburg als erster Sohn von Walter und Marguerite Mayer geboren. Der Vater ist Bankdirektor, die Mutter entstammt vermutlich hugenottischem Adel. Albert schlägt die Offizierslaufbahn ein – um der Familienehre willen.

■ Letzte Worte: „Um mich herum ist alles so stille, und ich habe so recht Zeit, an Euch […] zu denken. Es hat doch etwas unheimlich Begeisterndes an sich, diese Mobilisierung.“ Brief vom 31. Juli 1914, 36 Stunden vor seinem Tod

Koselleck organisiert Ausstellungen zu Mayers Erde, macht Installationen, betreibt einen Blog. Er besucht Mayers Sterbeort Joncherey und Mayers Geburtsstadt Magdeburg.

Manchmal scheint es, dass Koselleck unmerklich grinst, wenn er von all dem erzählt. Dann wieder redet er nachdenklich über die Gräuel des Kriegs. Er inszeniert das erste Denkmal für den passionierten Reiter Mayer. Ein Sprungfederpferdchen auf einem Spielplatz mit einer Schale Erde auf dem Sitz. Ein Witz – und ein Reinigungszauber, den einer mit Lust zelebriert, damit Mayer endlich zur Ruhe kommt. „Wir bringen die Erde zurück“, sagt Koselleck bei einem seiner Besuche im Widukind-Museum in Enger, „weil Albert Mayer zweimal den Kopf hingehalten hat.“ Regine Krull nickt.

Die vergangenen hundert Jahre müssen für Joncherey erfolgreich gewesen sein. Die Straßen sind frisch asphaltiert, überhaupt scheint der ganze Ort generalüberholt. Das zweigeschossige Rathaus steht in der Dorfmitte wie auf Blumen gebettet. Es ist das Zentrum der Peugeot-Ehrung. Im Gemeindebüro liegt die Broschüre „Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in Joncherey“. Im Ratssaal hängt eine Gedenktafel mit Fotos und Dokumenten, breit wie eine Bilderwand.

Hier wickelt Gilles Maire, ein freundlich agiler Mann, behutsam einen Papierberg auseinander. Allmählich kommt ein roter Filzhut mit ledernem Schirm zum Vorschein. Wie eine Monstranz hält Maire die Mütze. „Das ist das Käppi, das Jules André Peugeot am 2. August 1914 getragen hat“, sagt er. Maire, 60 Jahre alt, ist der Vizepräsident von „Le Souvenir Français“ in Joncherey. Die Organisation betreut Kriegsgräber und Kriegerdenkmäler und hat in diesem Jahr besonders viel zu tun. Maire koordiniert das Weltkriegsgedenken in Joncherey.

Er lässt das Käppi wieder unterm Seidenpapier verschwinden. Es trägt die Nummer 44, die Nummer des Regiments, und ist wohl das kostbarste Erinnerungsstück. Nur am 2. August wird es vor dem Peugeot-Denkmal auf ein Tischchen gebettet. Auch Korporal Peugeot selbst wird sich aus dem Grab erheben, vor dem Denkmal wachen und das Gewehr an den Körper pressen, als wäre er nie gestorben. Ja, ein junger Mann werde diese Ehre wieder übernehmen, Korporal Peugeot zu sein, bestätigt der schon hoch gespannte Maire. Und noch etwas! Auch Albert Mayer wird dieses Jahr auferstehen. Zum ersten Mal werde die Schießerei szenisch nachgestellt. Ein französischer Mayer-Darsteller werde auf Peugeot zuhalten.

Hier kam der Korporal herausgestürzt

Maire bittet zum rot geflammten Denkmal, das wie ein Riegel wirkt. Oben der Schriftzug, unten das Emailleschild von der „Souvenir Français“. Die mächtigen Pflanzkübel werden noch begrünt, beeilt er sich zu sagen. Zum hundertsten Jahrestag werden nicht nur Soldaten, Veteranen und Honoratioren anwesend sein, nein, auch Nachkommen der Familien Peugeot und Mayer haben sich angekündigt.

Das Haus der Docourts ist neu eingedeckt. Efeu rankt. An Rosen vorbei eilt Maire über alte Steine dem Eingang zu. Hier kam Peugeot hinausgestürzt, hier ist er verblutet. Ein Alter blickt entspannt aus dem Fenster. Dieser Mann habe als Junge 1940 die Zerstörung des ersten Peugeot-Denkmals miterlebt, berichtet Maire. Dann inspiziert er kurz das historische Pflaster und führt zu einer verwitterten Tafel. „Hier starb Korporal Peugeot“ steht, vom Efeu umrankt, ins Brett geschnitzt, darüber ein kaum zentimetergroßes Loch. Es ist ein Stück Tür mit einem Einschussloch von Mayers Revolver.

Ein Nussbaum weist den Weg. Der Soldatenfriedhof Illfurth liegt eingebettet im Grünen. Der Rasen unter den Ulmen ist frisch gemäht. Vögel singen. Über einem Sammelgrab wacht ein steinerner Adler. 1.964 Weltkriegssoldaten, die zwischen 1914 und 1918 gefallen sind, liegen hier. In einem geradezu mathematischen Liniensystem erstrecken sich die Doppelgräber über den Rasen. Die schlichte Sandsteinplatten mit je zwei Namen wirken wie Messpunkte.

Nur ein Grab fügt sich nicht in die Ordnung: „Hier ruht der 1. deutsche Gefallene des Weltkrieges 1914–1918, Albert Mayer, Leutnant“. Am 2. August wird Ruppe Koselleck hier im Stillen drei Handvoll Erde an Mayer zurückgeben, nach 77 Jahren. Doch er wird auf eine Stelle treffen, die frisch aufgebrochen ist.

Die Augen von Gilles Maire leuchten, als er von dem Plan erzählt. Am 1. August werden Delegationen zu den Gräbern von Peugeot und Mayer reisen und Erde entnehmen. Zum Jubiläum werden sie dann in einem Gefäß vereint, das fortan das Herzstück des Denkmals von Joncherey bilden soll. Kann es ein besseres Zeichen für Frieden und Völkerverständigung geben? Man brauche dafür nur das Emblem von „Souvenir Français“ etwas höher zu hängen. Albert Mayer findet keine Ruhe.

■ Thomas Gerlach, 50, ist Reporter der taz