: CDU ohne rechte Flügelkämpfer
Erst Schönbohm, jetzt Merz: Der Union gehen stramme Konservative aus. Merkel schweigt. Anhänger der Kanzlerin reden Verlust herunter. Merz sei „isoliert“ und trete aus „persönlicher Enttäuschung“ ab
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Friedrich Merz hört auf? Na und! Die Partei- und Fraktionschefs der Union hielten es bis gestern Nachmittag nicht für nötig, den Abgang ihres früheren Fraktionsvorsitzenden und unbestritten besten Redners, Merz, zu kommentieren. Der konservative „Leitkultur“-Verfechter und bekannteste Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels der CDU hatte am Montagabend angekündigt, dass er auf eine Kandidatur bei der nächsten Bundestagswahl verzichten werde.
Spontan Bedauern zu äußern, war aus Sicht von Angela Merkel und Volker Kauder wohl zu viel der Ehre für einen Mann, der schon seit dem Regierungsantritt Merkels im Herbst 2005 jede Gelegenheit genutzt hatte, den Kurs der Partei zu kritisieren. Auch am vergangenen Freitag, bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform, verweigerte Merz die Gefolgschaft. Der Koalitionskompromiss schränke den Wettbewerb im Gesundheitswesen ein und öffne „den Weg zu einer staatlichen Einheitskasse“, gab Merz als Gründe für sein Nein zu Protokoll. Dazu passt nun die Rückzugsentscheidung des 51-Jährigen, die er „auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Politik der großen Koalition in Berlin“ traf.
Eine Provokation, die Merkel offenbar am liebsten ignoriert hätte. Doch gerade weil sie und Kauder den Tag über schwiegen, fiel umso mehr auf, wie verständnisvoll Fraktionsvize Wolfgang Bosbach auf den Abgang des Kollegen reagierte. „Die Gedanken, die Friedrich Merz bewogen haben, habe ich auch“, sagte Bosbach, der bei den Vorstandswahlen in der Fraktion die meisten Stimmen erhalten hatte, der Rheinischen Post. Und ergänzte im Deutschlandfunk: „Wenn man in 14 Monaten Regierung mehr Frustrationserlebnisse hat als in sieben Jahren Opposition, kommt man ins Grübeln.“ Insofern könne er Merz’ Entscheidung verstehen, auch wenn er selbst „noch“ nicht so weit sei.
Die Getreuen der Kanzlerin hingegen versuchten, den Verlust des anerkannten Finanzfachmanns herunterzuspielen. Merz habe sich durch seine Blockadehaltung und seinen freiwilligen Rückzug auf Raten – er war bereits vor zwei Jahren als Fraktionsvize zurückgetreten – „in die völlige politische Isolation begeben“, sagte ein Regierungsmitglied der CDU der taz. Merz’ wirtschaftspolitische Vorstellungen glichen denen von Steuerrechts-Professor Paul Kirchhof, sie hätten „eindeutig keine Mehrheit bei der Bundestagswahl“ bekommen und seien auch in der Union „mit Sicherheit nicht mehrheitsfähig“, sagte der Merkel-Freund.
Dass Merz alles andere als ein Merkel-Freund ist, seit sie ihm 2002 den Fraktionsvorsitz abnahm, ist hinlänglich bekannt. Neben politischen Gründen dürften bei Merz’ Rückzugsentscheidungen deshalb auch „persönliche Enttäuschungen“ eine Rolle spielen, so der Regierungspolitiker zur taz. So sei möglicherweise auch der Frust von Bosbach zu erklären, der gerne Innenminister geworden wäre.
Fest steht: Nach dem Rücktritt von Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm verliert die Union einen weiteren strammen Rechten. Die meisten engeren Mitarbeiter, die Merkel um sich geschart hat, sind zwar auch wirtschaftspolitische Reformer, aber kompromissbereit und gesellschaftspolitisch eher liberal.
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