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Archiv-Artikel

die taz vor acht jahren Balkan bedroht deutsche Kastanie

Wenn es Ärger gibt in der Gegend, die man früher Jugoslawien nannte, weiß die zivilisierte Welt normalerweise Rat und schickt Blauhelme rüber oder läßt Flugzeuge über der schon leicht verbrannten Balkanerde kreisen. Die größte Gefahr von dort haben die Krisen-Zampanos jedoch nicht aufhalten können. Nein, gemeint sind nicht die Kosovo-Albaner, die unseren deutschen Zuhältern ihre Arbeitgeberplätze wegnehmen. Der Feind heißt vielmehr Cameraria ohridella, zu deutsch: Kastanienminiermotte.

Fünf Millimeter lang sind diese fiesen Tiere, die 1985 am Ohridsee in Makedonien entdeckt wurden. Seit einigen Jahren schon fallen sie hierzulande über die Roßkastanie her. Den balkanischen Killerinsekten mit den ockerfarbenen Flügeln scheint zu gelingen, was der saure Regen nicht schaffte: den liebsten Zierbaum der Deutschen existentiell zu gefährden. In diesem Jahr hat der Schädling Nordrhein-Westfalen erreicht. In Bonn sind einzelne Stadtteile betroffen. Als „blinde Passagiere“ in Lkws seien die Kastanienmotten „eingeschleppt“ worden, erfahren wir von einem Münchner Zoologen. „Eingeschleppt“ – die Wortwahl ist alarmierend: Da waren Schleuserbanden im Spiel, wie bei vielen Asylbewerbern. Daß sich die Situation bessert, ist nicht absehbar, denn die Kastanienmörder haben kaum Feinde in der Natur. Und es dauert noch ein Vierteljahr, bis die Entomologische Gesellschaft in München eine Expertentagung zum Thema veranstaltet.

Doch vielleicht ist das Schicksal der deutschen Roßkastanie dann schon besiegelt.

René Martens, 18. 11. 1998