piwik no script img

Archiv-Artikel

In 12 Jahren einmal um die ganze Welt

Der 51-jährige Kanadier Jean Béliveau reist zu Fuß um die Welt. 39.000 Kilometer hat er hinter sich. Jetzt ist er in Berlin angekommen. Sein Motto ist: „Frieden für die Kinder der Welt“. In der kommenden Woche geht es weiter nach Istanbul und Asien. 6 Jahre Lauf stehen noch auf dem Programm

„Jedes Land, durch das ich laufe, verändert mich, ich nehme die Sitten der Leute an und fange an zu denken wie sie“

von Sebastian Kretz

Wer um die halbe Welt und mehr gelaufen ist, sieht anders aus – nach Strapazen und tiefen Falten. Wer sich den Weltreisenden Jean Béliveau so vorstellt, läuft geradewegs an ihm vorbei.

Der 51-jährige Kanadier kam nach 39.000 Kilometern am Mittwoch in Berlin an. Er trägt blitzsaubere Kleider, die graumelierten Haare sind frisch geschnitten und frisiert. Auf der Vorstandssitzung einer Aktiengesellschaft würde Béliveau keine schlechte Figur machen. Er nestelt seine Brille hervor, legt die Mappe mit Unterlagen auf den Tisch und beginnt zu erzählen – von seiner Laufreise um die Welt.

„Ich hatte diesen Traum, auszubrechen“, sagt Béliveau. „Wie eine kleine Blume habe ich den Traum insgeheim gepflegt, bis er irgendwann aufblühte.“

Die Blume blühte vor sechs Jahren auf. Damals erzählte der Einzelhandelsverkäufer aus einem Lampenunternehmen seiner Familie, dass er um die Welt laufen werde. Und zwar nicht bald, sondern sofort. Er warf seinen Job hin, ein paar Wochen später verließ er Québec mit 3.000 Dollar in der Tasche und 40 Kilo Gepäck, das in einem Dreiradbuggy Platz fand. Geplant war, dass die Reise zwölf Jahre dauern sollte.

Die erste Etappe führte den Weltreisenden vom nordöstlichen Zipfel des besiedelten Amerika nach Argentinien im Süden des Kontinents. Drei Jahre brauchte er für die 19.000 Kilometer. Die Sohlen unter den Laufschuhen wurden dünner, die Vorräte ebenso. „Meine Familie schickt mir Geld, aber ohne die Hilfe der Leute, die ich unterwegs treffe, würde ich es nicht schaffen“, sagt Béliveau. Manche ließen ihn bei sich übernachten, andere schenkten ihm neue Schuhe oder luden den Wanderer zum Essen ein. In São Paulo bezahlte ein Freund kurzerhand das Flugticket nach Afrika. Ein Junge in Peru bot ihm eine Handvoll Kartoffeln an. „Die waren für ihn kostbarer als für meinen Freund das Flugticket, das er geschenkt hat“, so der Weltenbummler.

„Lauf, Forrest, lauf“, riefen Béliveaus Kinder beim Abschied ihrem Vater hinterher. Aber anders als die tragikomische Filmfigur Forrest Gump alias Tom Hanks läuft Béliveau nicht ohne Grund: „Kurz bevor ich aufbrach, sagte meine Frau, dass die Reise einen Zweck haben sollte.“

Für Béliveau war das einleuchtend, es läuft sich besser mit zwei Zielen. Nun steht sein Projekt im Rahmen des Unesco-Jahrzehnts der „Kinder der Welt“. „Ich helfe aber nicht, indem ich Geld verteile, ich leiste intellektuelle Arbeit“, so der Kanadier.

Die bestehe darin, die Menschen auf der Welt darauf aufmerksam zu machen, dass Kinder „unser größter Schatz“ sind. In Chile organisierte Béliveau beispielsweise eine Parade, um für Kinderrechte zu demonstrieren. Anderswo besucht er Schulen, die Menschen für sein und das Unesco-Anliegen gewinnen.

Für Béliveau ist klar, dass seine Weltreise auch ein Lauf zu sich selbst ist. „Jedes Land verändert mich, ich nehme die Sitten der Leute an und fange an zu denken wie sie.“

Zweieinhalb Jahre dauerte die Reise von Südafrika nach Marokko. Sie kostete nicht nur Zeit, Nerven und Mut, führte der Lauf doch durch Kenia, Äthiopien, Sudan und Algerien. Dabei legte der Weltreisende 14.000 Kilometer zurück, ein Viertel davon auf Schuhsohlen aus Autoreifen.

Als er von Rabat nach Portugal übersetzte, fühlte er sich als Afrikaner: „Ich hatte Angst vor Europa, vor den Menschen, vor der Mentalität.“

Ein „Kulturschock“ sei es gewesen, als er in Lissabon ankam. „Die Europäer sind sehr individualistisch, jeder geht seinen eigenen Weg“, meint Béliveau. Inzwischen habe er sich aber an die Zurückhaltung im Norden der Welt gewöhnt. „Es ist hier nicht selbstverständlich, Fremden eine Unterkunft anzubieten.“

Im Oktober führte sein Weg in das 37. Land der Reise, als er bei Nordhorn (Emsland) die deutsche Grenze überquerte.

Zu Deutschland hat Béliveau eine besondere Beziehung, denn seine Kinder leben hier: „Es war ein wunderbarer Moment, endlich meine Enkelin zu sehen“, sagt der Weltenbummler.

Die fünfjährige Enkelin kam ein paar Monate nach seiner Abreise zur Welt und kannte ihren Großvater noch nicht. Doch Béliveaus Weg führt nicht nur deswegen durch Deutschland. Es gebe viele Wälder und schöne Straßen. „Außerdem mag ich die Fahrradwege, denn mit meinem Buggy kann ich nicht über Stock und Stein gehen.“

In Berlin will Béliveau noch bis Sonntag bleiben, das Flair der Stadt gefällt ihm, sagt er. „Durch die Mauer haben die Menschen sehr gelitten, aber diese Vergangenheit setzt auch viel Kreativität frei“, so Béliveau. Am Samstag trifft er im Kindermuseum „Labyrinth“ deutsche Kinder und erzählt ihnen, wie junge Menschen anderswo auf der Welt leben.

Bald ist es für den Wanderer wieder Zeit, neue Sitten und Kulturen zu erfahren. „Bisher konnte ich mich immer verständigen, in Asien werde ich einsamer sein“, fürchtet Béliveau. Im März kommt er in Istanbul an und trifft zum siebten Mal seine Frau Luce. Dass er sie kurz vor seiner Abreise vor vollendete Tatsachen stellte, war kein Problem: „Ich nahm an, dass sie sich von mir trennen würde, aber unsere Beziehung ist durch die Reise noch tiefer geworden.“

Béliveau findet es wichtig, den eigenen Kopf durchzusetzen: „Man muss egoistisch sein, um teilen zu können.“

Der Kanadier hat noch sechs Jahre Zeit, sich allein durchzuschlagen. Wenn er dann zurückkehrt, will er ein Waisenhaus eröffnen.