angriff der killerkugelschreiber von RALF SOTSCHECK :
„Ich möchte dich heute Nacht hier behalten“, sagte Cara in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Eigentlich wäre das keine unangenehme Vorstellung, denn Cara ist eine attraktive Blondine von Anfang 30. Aber sie ist auch Neurologin im Dubliner Beaumont-Krankenhaus, und in dieser Funktion ordnete sie meine Übernachtung an. Das war vor zehn Tagen. Seitdem sitze ich hier fest.
Ich bin ins Krankenhaus gegangen, weil ich seit einiger Zeit Sehstörungen und Kopfschmerzen hatte, und im irischen Gesundheitssystem ist der Weg über die Notaufnahme die einzige Möglichkeit, an einen Facharzt zu gelangen, ohne Monate auf einen Termin zu warten. Nun bin ich in einem Sechsbettzimmer, und die Hierarchie ist von Anfang an klar. Als Neuankömmling stehe ich zwar über den beiden Schlaganfallpatienten, die ans Bett gefesselt sind und nicht sprechen können, aber gegen die drei Veteranen habe ich keine Chance.
Christy, der Tätowierte mit der Mutter aller Husten, ist Herrscher über die TV-Fernbedienung. „Die Simpsons“ mag er leider nicht, er steht mehr auf Actionfilme. Aber wenigstens interessiert er sich für Fußball, allerdings auch für die Spiele der dritten schottischen Liga, die bedauerlicherweise von einem Spartensender übertragen werden. Ab und zu reicht er die Fernbedienung an Declan weiter, den Stubenzweitältesten, der ab acht Uhr morgens mit seinem Radio gegen den Fernseher ankämpft und wenigstens die Nachrichten einschaltet, wenn er zeitweise in den Besitz der Macht gelangt.
Das geschieht aber nur dann, wenn Christy die Sauerstoffmaske abnimmt und auf seinen Krücken zum weit entfernten Haupteingang humpelt, um eine Zigarette zu rauchen. Vor der Tür, unter den großen Rauchverbotsschildern, treffen sich die Bademantelträger, die Rollstuhlfahrer und die Ganzkörperbandagierten, um zu quarzen, während eine Lautsprecherstimme pausenlos darauf hinweist, dass hier das Rauchen streng untersagt sei. Die Krankenhausverwaltung hat längst kapituliert und Blecheimer aufgestellt.
Giorgio, ein älterer Italiener, schnarcht. Das ist aber nicht das Schlimmste. Er ignoriert die Schilder, die überall hängen: „Wegen Winterbrechvirus nur ein Besucher pro Patient, keine Kinder.“ Giorgio hat seine neunköpfige Großfamilie, darunter drei Kinder, ständig um sein Bett geschart. Es geht zu wie in einer U-Bahn in Neapel.
Manchmal kommen auch Ärzte vorbei – meistens, um einen Kugelschreiber vor mein Gesicht zu halten, dem ich mit den Augen folgen soll, selbst mitten in der Nacht. Neulich hatte ich einen Albtraum, in dem ich von einem sieben Meter großen Kugelschreiber über eine Klippe gestoßen wurde. Ich schreibe inzwischen mit Bleistift.
Und sie nehmen mir täglich Blut ab, manchmal sogar neun Ampullen. Ob die Iren in Anbetracht des bevorstehenden rumänischen EU-Beitritts ein Handelsabkommen mit Transsilvanien abgeschlossen haben? Die Blutwerte seien okay, meint der Arzt. Ich frage ungläubig: Auch die Leberwerte? Ja, auch die, antwortet er. Ich liebe das Beaumont-Krankenhaus. Aber Cara habe ich nicht wiedergesehen. Ob sie vergessen hat, meine Freilassung anzuordnen?