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Archiv-Artikel

Wie es langsam dunkel wird in Europa

RADIKALISMUS In beinahe allen europäischen Ländern erstarkt die extreme Rechte. Ein Sammelband erforscht Ereignisse und Ideologie

Seit den Wahlen 2010 stellt die rechtsextreme Jobbik-Partei im ungarischen Parlament die drittstärkste Fraktion. Sie wettert gegen die Minderheit der Roma, propagiert den Kampf gegen die jüdische Dominanz in der Presse und vertritt die völkische Ideologie eines Großungarn.

Im Dezember 2010 jagten rassistische Hooligans Kaukasier in Moskau durch die Straßen und schlugen sie fast tot.

Im Januar 2011 wurde Marine Le Pen in Frankreich zur Vorsitzenden des rechtsextremen Front National, die unter ihrem Vater regelmäßig zweistellige Wahlergebnisse einfahren konnte.

Dies sind nur drei Beispiele jüngeren Datums, die die Brisanz des von Claudia Globisch, Agnieszka Pufelska und Volker Weiß herausgegebenen Sammelbands „Die Dynamik der europäischen Rechten“.

Zeev Sternhell untersucht die Entstehung des Nationalismus im postrevolutionären Frankreich und sieht dort die Wiege des europäischen Faschismus. Diesen begreift er vor allem als eine antiuniversalistische Bewegung und als extremsten Ausdruck gegenaufklärerischer Tendenzen.

In Osteuropa erleben die extremen Rechten seit dem Fall der kommunistischen Regime einen Aufschwung. Magdalena Marsovszky stellt die Lage in Ungarn dar und zeigt anhand der Ausstellung im Budapester „Haus des Terrors“ die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus in der aktuellen Debatte auf. Ungarn erscheint in dem darin tradierten Geschichtsbild als Opfer ausländischer Mächte. Hier sieht Marszovsky eine klassische Täter-Opfer-Umkehr, die Ausdruck eines antikommunistischen Antisemitismus sei.

Diese Aspekte greift auch Tomasz Konicz in seinem Beitrag über die Rechte in Polen auf, deren historisches Narrativ durch einen Opfermythos geprägt sei, der Polen als „Christus der Nationen“ begreife. Auch dies führe zu einer Gleichsetzung der polnischen mit den jüdischen Opfern des Holocaust und zu einer Ausblendung der tief verwurzelten, katholisch geprägten Judenfeindschaft.

Das Buch beleuchtet auch die extreme Rechte in Westeuropa und diskutiert ihre ideologischen Grundlagen. Michael Werz zeigt auf, dass sich im Antiamerikanismus „Spurenelemente antisemitischen Vorurteils und antibürgerlichen Ressentiments“ finden, ohne dass beide Ideologien identisch wären. In einer polemisch gehaltenen Kritik an der Analyse des Antisemitismus in der heutigen Soziologie plädiert Detlev Claussen für eine Erneuerung der Ideologiekritik von Adorno und Horkheimer. Seine Absage richtet sich vor allem an wissenssoziologisch orientierte Ansätze, wie sie etwa von Klaus Holz vertreten werden.

Dessen Aufsatz über den Antisemitismus als ideologische Klammer der extremen Rechten ist in dem Sammelband unverständlicherweise erst nach der Kritik von Claussen abgedruckt, obwohl dieser sich auf ihn bezieht. Der Faschismusforscher Wolfgang Wippermann widmet sich schließlich dem vergessenen und im Nachkriegsdeutschland verleugneten „Rassenmord an den Roma“, bevor der Band mit einer Diskussion über den Faschismusbegriff endet.

Die Lektüre liefert einen guten Überblick über die aktuelle Situation der extremen Rechten in Europa. Die empirische Analyse einzelner Länder wird mit theoretischen Diskussionen über die ideologischen Fundamente rechtsextremer Bewegungen sowohl in historischer wie in ideologietheoretischer Perspektive verbunden. Ärgerlich ist das bisweilen mangelhafte Lektorat. Dies kann jedoch die besorgniserregende Aktualität des Bandes nicht schmälern. SEBASTIAN VOIGT

Claudia Globisch, Angieszka Pufelska und Volker Weiß (Hg.): „Die Dynamik der europäischen Rechten. Geschichte, Kontinuitäten und Wandel“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011, 317 Seiten, 39,95 Euro