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Archiv-Artikel

Eine staatlich geschützte Parallelwelt

VERMÖGEN Warum sind die Reichen reich? Eine Studie untersucht die Schweizer Verhältnisse

VON EDITH KRESTA

Die Schweiz ist ein reiches Land. Enorm reich. Und der Reichtum ist enorm einseitig verteilt. In der Schweiz verfügen drei Prozent der privaten Steuerpflichtigen über gleich viel steuerbares Nettovermögen wie die übrigen 97 Prozent. Jeder zehnte Milliardär der Welt lebt in der Schweiz.

Diese Welt der Reichen mit ihren Distinguierungsmerkmalen, ihrem millionenschweren Erbe, ihren Clubs, Netzwerken und Heiratsmärkten hat eine im Schweizer Rotpunktverlag erschienene Studie „Wie die Reichen denken und lenken“ durchleuchtet. Anhand der Geschichte des Reichtums in der Schweiz, anhand von Fakten und aus persönlichen Gesprächen mit der Geldelite führen die Autoren in die parallele Welt der Reichen. „Wer weniger als 30 Millionen Franken Vermögen hat, ist nur knapp noch reich, finden Reiche. Wer mehr als 100 Millionen Franken hat, gehört zu den Superreichen“, schreibt das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz.

Die soziale Frage

Wie wird man reich? Was denken Reiche über den immer größer werdenden Unterschied zwischen ihnen und der großen Mehrheit der Bevölkerung?

Vier verschiedene Gruppen von Reichen werden in der Studie ausgemacht: Der vor allem in Basel einflussreiche „Daig“, der aristokratische Geldadel. Dieser unterscheidet sich vom industriellen Geldadel, der sein Vermögen selbst verdient hat. Die dritte Gruppe der Reichen kam nach dem Zweiten Weltkrieg durch Spekulationen zu ihrem Vermögen. Und schließlich die neuen Reichen, die ihr Geld mit Aktien und neuen Technologien verdient haben.

Der althergebrachte Reichtum, der in Basel angesiedelt ist, ist ein stärker tabuisierter Reichtum. Der neue Reichtum ist eher in Zürich angesiedelt. Dort fließt das Geld schneller. Das Reichsein ist pragmatischer und enttabuisiert. Die neuen Reichen spenden gern, aber sie verlangen dafür öffentliche Aufmerksamkeit. „Bei der sozialen Frage liegt vielen Reichen besonders daran, vor allem jene Menschen zu unterstützen, die entweder sogenannt unverschuldet in Not geraten sind oder fleißige Working poor sind. Dabei gilt: Reichtum verpflichtet, aber nur beschränkt und auf freiwilliger Basis. Reiche wollen selbst darüber bestimmen, wen und was sie unterstützen. Das macht für viele die Stiftung attraktiv, wobei bei Einzelnen auch das Umgehen steuerlicher Abgaben eine Rolle spielt“, schreiben die Autoren. Freiwillig, vor allem im kulturellen Bereich, zum Teil auch im sozialen Bereich, geben Reiche relativ viel Geld. Sobald aber die Rede von Umverteilung oder Kapitalgewinnsteuer ist, also von staatlicher Einflussnahme, finden die reichen Leute kein Gehör, auch wenn sie durchaus etwas gegen die Armut unternehmen wollen.

Ein Fazit der Studie: Reichtum und Erbe wird in der Schweiz nicht adäquat versteuert. Deshalb ist der Beitrag der Reichen an gesellschaftlichen Infrastrukturen unverhältnismäßig gering. Unsolidarisch.

Die Autoren fragen auch nach dem Verhältnis von Reichtum und Macht: „Oft sind es die Machteliten, die ihren Einfluss in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik dank Herkunft, Beziehungen und Kapital geltend machen und halten können.“

Das ist nichts Neues, aber es zeigt empirisch untersucht einen Schwachpunkt der Demokratie. Der neue und alte Geldadel kann seine Interesse immer besser durchsetzen.

Wichtig sei daher, so ein Fazit, dass die Arbeitnehmenden sich ebenfalls organisieren über gewerkschaftliche Vereinigungen, Betriebsgruppen, alternative Denknetze und Quartiersorganisationen. Damit die Bürger wieder mehr ins Handeln kommen und Armut oder Arbeitslosigkeit nicht zum Stigma persönlichen Versagens wird, wie es die hochindividualisierten Gesellschaften in der Schweiz oder sonst wo in Europa sehr schnell nahelegen.

Ganga Jey Aratnam, Ueli Mäder und Sarah Schilliger: „Wie die Reichen denken und lenken. Reichtum in der Schweiz: Geschichten, Fakten und Gespräche“. Rotpunktverlag, Zürich 2010, 300 Seiten, 26 Euro