Alltag als Katastrophe

Nichts für zarte Gemüter: Das Bonner Theater reiht drei nagelneue Einakter des US-amerikanischen Autors Neil LaBute aneinander, als gelte es, die Selbstmordrate bei den Zuschauern zu steigern

VON HEIKO OSTENDORF

Geht es nach Neil LaBute, endet der Alltag gewöhnlich in einer Katastrophe biblischen Ausmaßes. Egal wie harmlos seine Stücke beginnen, dem US-amerikanischen Erfolgsautor gelingt immer wieder die unverhoffte Wendung ins Tragische. Bei seinen neuesten drei Einaktern begann alles mit einer Email der Schauspielerin Birte Schrein. Die angehende Mutter schrieb ihm, dass sie gerne bis zur Niederkunft weiter Theater spielen würde. Aber selbst die Rolle im jüngst gefeierten LaBute-Stück „Wie es so läuft“, musste sie abgeben. LaBute, ganz charmant, textete der Akteurin einen eigenen Text mit schwangerer Hauptfigur.

Diese Liebenswürdigkeit heißt „Helter Skelter“ und beginnt im Werkstatt-Theater auf der Rückseite des Bonner Opernhauses gewohnt unspektakulär: Eine Frau und ein Mann treffen sich in einem Restaurant, besprechen ihre Weihnachtseinkäufe. Man redet über die Kinder und dies und das. Alles unverfänglich, wäre da nicht das Handy des Göttergatten mit den verräterischen Telefonnummern. Auch wenn er das mobile Kommunikationsgerät geschickt in die Brüche gehen lässt – seine Frau hat Blut geleckt. Die Wahrheit kommt ans Licht: Seit sechs Jahre betrügt er seine Frau. Aber deshalb müsse sie ja jetzt keine Szene machen. Doch daran denkt eine LaBute-Figur nun mal als Letztes.

Birte Schrein hält ihren Kopf erst demütig gesenkt. Doch in ihrem weißem Kleid mit ebensolchen Handschuhen steigert sie sich langsam aber zielsicher in Richtung Wahnsinn. Hier eine Träne, da ein hysterisches Lachen. – je mehr herauskommt, desto erhobener ihr Haupt. Wie ein patziges Mädchen, lässt sie alle Ausflüchte abprallen, bis sie sich ein Messer gemächlich, fast eine Spur zu gemütlich, in den gewölbten Bauch sticht. Der hilflose Ehemann rutscht langsam aus seiner ekelhaften Selbstsicherheit in einen ängstlichen Buben, verharrt in Schockhaltung.

Die Abtreibung in „Land der Toten“ findet dann medizinisch statt. Als die Frau aus der Klinik kommt, ist ihr Partner – der eigentlich kein Kind wollte – im World-Trade-Center ums Leben gekommen. An einem Tag verliert die Frau zwei Menschen. Von ihm ist nur eine Nachricht auf der Mailbox ihres Handys geblieben, die sie sich immer wieder anhört. Birte Schrein spielt auch hier die Hauptrolle, vergießt eine Träne nach der anderen. Nur ihr Gesicht ist erleuchtet, von ihrer Schwangerschaft nichts zu sehen. Neben ihr steht Andreas Meier, der als Toter seine Erinnerungen beisteuert.

Der dritte Einakter „Ich mag dich wirklich“ kommt fröhlich daher. Roland Riebeling geht wie ein Stand-up-Comedien auf und ab und unterhält das Publikum. Er reicht einem Zuschauer zum Aufpassen eine Wasserflasche, zieht den einen oder anderen ins Gespräch und diskutiert die Frage, ob das hier Theater sei oder nicht. Das amüsiert, und vergrößert gekonnt die Fallhöhe, aus der der Zuschauer hinunter kracht, als sich der junge Mann auf der Bühne als mädchenmordender Vergewaltiger zu erkennen gibt. Sein Opfer ist natürlich wieder Birte Schrein, die als freche, hypernervöse und gnadenlos naive Göre dem Triebtäter auf den Leim geht.

Die Bühne von Gesine Kuhn ist für alle drei Stücke mit (alltags-)grauem Filz ausgeschlagen, auf dem die den schrecklichen Teil der Wirklichkeit extrahierenden Szenen abgedämpft werden. Wie zwei hereinbrechende Tsunami-Wellen biegen sich die Seitenwände – einer Skateboard-Teststrecke gleich – die bedrohlichen Aspekte der Handlungen vorwegnehmend, in die Richtung der Schauspieler.

So, 11. 02., 20:00 UhrTheater Bonn, Infos: 0228-778008