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Archiv-Artikel

Ein Mann von „Welt“

Standing Ovations für Wolf Biermann: Bei der Geburtstagsmatinee zu seinem 70. lobt Springer-Chef Mathias Döpfner „Welt“-Kolumnist Biermann – also vor allem sich selbst

AUS HAMBURG FRIEDERIKE GRÄFF

„Wo das Rolf-Liebermann-Studio ist?“, sagt der junge Mann. „Da komme ich gerade her.“ Er ist heute morgen 150 Kilometer gefahren, um die Wolf-Biermann-Geburstagsmatinee des NDR in Hamburg zu besuchen. Dass dort nur geladene Gäste und die Gewinner der NDR-Verlosung Zutritt haben, hat ihm niemand gesagt. Ob er als eine Art Fotograf mitkommen möchte? „Nein“, sagt der junge Mann entschieden: „Man muss doch ehrlich bleiben.“

Im Rolf-Liebermann-Studio steht Wolf Biermann in schwarzer Lederjacke und redet mit einem Menschen in der dritten Reihe, während Moderatorin Anne Will das Publikum anweist: „Dann kommt das ‚Sie tun so, als freuten Sie sich‘. Schließlich sollen sich die Nachbarn nicht fragen, warum Sie so schlecht gelaunt im Fernsehen sind.“ Aber die Leute sind gar nicht schlecht gelaunt, sie sind bildungsbürgerlich, größtenteils jenseits der 50 und willig, in Biermann einen großen Dichter zu feiern. In der ersten Reihe sitzen die Redner: Jobst Plog, der Intendant des NDR, die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck und Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Springer. Sie alle werden noch einmal gepudert, selbst ein blasser junger Mann, der nur zufällig da sitzt. Der Maskenbildner lässt nicht mit sich reden: „Um ehrlich zu sein: Es ist notwendig.“

Dann geht es los mit dem „Geschenk in Bild und Ton“, so nennt es Anne Will. Man könnte es auch eine Sternstunde des Productplacements nennen, eine historische Andachtsstunde – präsentiert vom NDR und Springer. Anne Will verweist auf das vom NDR gedrehte Biermann-Porträt. Jobst Plog erzählt von Biermanns Ferienhaus in Frankreich und der Freude des NDR, neben dem Biermann’schen auch die Geburtstage von Siegfried Lenz und Günter Grass feiern zu dürfen. Mathias Döpfner würdigt die Tatsache, dass Biermann noch immer eine Lederjacke trägt. Er würdigt, dass sich Biermann in seiner Tischrede nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes dazu bekannte, den Weibern auf den Arsch zu schauen. Er würdigt, dass Biermann ein „Guter-Mensch-Starrkopf“ geblieben sei, aber davor verweilt er bei Biermanns Kolumnen für die Welt. „Der Springer-Chef und der Springer-Schreck“, sagt Döpfner. „Gottchen, ist das pikant – für meine Beziehung zu Biermann war das nicht relevant.“ Und dann sagt er selbstgefällig, dass es damals, als Biermann sein Gedicht über Rudi Dutschkes Ermordung in der Welt erneut zitierte, und auch er zitiert es – „Die Kugel Nummer eins kam aus Springers Zeitungswald“ – bei Springer „relativ ruhig blieb“.

Danach kommen die Leute aus der ehemaligen DDR, die nichts zu verkaufen haben, nicht einmal sich selbst: Der Dichter Günter Kunert, der über Literatur als Heimat spricht, und ein Musikerpaar, das eine Mimikri-Rede hält. Wolf Biermann sagt, dass er genug in die Fresse bekommen habe, um sich jetzt mal Lob anzuhören. Und dann stehen die Leute für ihn auf. Vielleicht mögen sie seine Musik. Vielleicht finden sie wie Herr Döpfner, dass er widerständig geblieben ist. Vielleicht gefällt ihnen ein bisschen Pathos, selbst wenn gar kein Anlass dazu besteht.