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Archiv-Artikel

Dreht Springer jetzt völlig durch?

Noch ein Beispiel, warum sich der Kampf für die Dutschke-Straße gelohnt hat. Aber lesen Sie selbst!

In der Tageszeitung Die Welt des Axel Springer Verlags ist vergangenen Montag eine Kolumne über Rudi Dutschke unter dem Titel „Aus dem Leben eines Apokalyptikers“ erschienen. Die Springer AG klagt gegen die Umbenennung der Berliner Kochstraße in Dutschke-Straße. Wir dokumentieren die Welt-Kolumne des Journalisten Konrad Adam:

„ ‚Vergiss nicht, Beuys, den mehrfach Gekreuzigten, den Rudi, den Dutschke‘, hatte Heinrich Böll seinen Freund Joseph Beuys zu dessen 60. Geburtstag gemahnt. Die Erinnerung war gut gemeint, aber überflüssig, denn an Vergessen war bei Beuys genauso wenig zu denken wie bei Böll selbst und all den anderen, die ihre Erweckungserlebnisse dem Jahre 1968 verdanken. Damit ihr Idol auch der Öffentlichkeit nicht aus den Augen gerät, wollen sie in Berlin die ehrwürdige Kochstraße nach Rudi Dutschke umbenennen.

Von allen Titeln, die Dutschke trug, war der des Studentenführers am häufigsten zu hören. Trotzdem greift auch er zu kurz. Denn Dutschke hatte viele Seiten, zu denen eben auch ein kirchenfernes, stark sozialistisch eingefärbtes Christentum gehörte. Es verlieh seinem höchst irdisch getönten Versprechen vom neuen Menschen in einer besseren Gesellschaft jenen Zug ins Unbestimmte, ohne den noch keine Revolution ausgekommen ist. Für Dutschke war die Auferstehung Jesu ‚die entscheidende Revolution der Weltgeschichte‘ – eine, die allerdings schon stattgefunden hat und nun darauf wartet, von ihm und seinen Glaubensgenossen vollendet zu werden.

Wie alle Apokalyptiker lebte Dutschke in der Erwartung eines nahen Endes, das er jedoch, ebenfalls typisch, durch ein letztes Gefecht, in dem sich die Bereitschaft zum gewalttätigen Widerstand mit der moralischen Verpflichtung zum Einsatz für die gute Sache verband, aufzuhalten oder abzuwenden versprach. Im Ton war alles, was er sagte, auf dieses Ineinander von Verheißung und Drohung gestimmt, das er dem Alten Testament und seinen revolutionären Lieblingsautoren abgelauscht haben mochte. ‚Ubi Lenin, ibi Jerusalem‘ hieß es bei Ernst Bloch, mit dem ihn eine innige Freundschaft verband.

In der Praxis zwang diese Melange zu einer Propaganda der Tat, die mit Demos und Aktionen den Herrschenden ihre Charaktermasken vom Gesicht reißen wollte. ‚Natürlich‘ sei er dazu bereit, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, versicherte Dutschke im Fernsehen, kurz bevor die RAF im Untergrund verschwand [Dutschke meinte ‚natürlich‘ nicht den Kampf der RAF, Anm. d. taz]. Ulrike Meinhof hat das dann so ähnlich ausgedrückt, nachdem bei der Befreiung von Andreas Baader Schüsse gefallen waren: ‚Natürlich‘ dürfe geschossen werden, meinte sie. In diesem Punkte waren sich die beiden einig. Dutschke war der Typ des Fanatikers, der aus Enttäuschung über die Gegenwart den radikalen Wechsel will. Nicht auf die Richtung kam es dabei an, sondern auf die kompromisslose Gesinnung und auf ein Temperament, das immerzu aufs Ganze ging.

Für Linke seines Schlages zählen die Mittel mehr als die Ziele. Das macht sie empfänglich für den Extremismus der anderen, der rechten Seite, vor dem Dutschke vielleicht nur durch die Verletzungen bewahrt geblieben ist, die er bei einem Attentat erlitt, das ihn zum Krüppel machte. Sein alter Kampfgenosse Bernd Rabehl ist längst übergelaufen und feiert sein verstorbenes Vorbild inzwischen nicht mehr in der ‚Tageszeitung‘, sondern in der ‚Jungen Freiheit‘.

Wie soll man solche Leute nennen? Am besten wohl National-Sozialisten, wahlweise mit oder ohne Bindestrich. Hinter den großen Worten, die niemandem so leicht von der Zunge kamen wie Rudi Dutschke, kam die Sehnsucht nach dem kleinen Glück zum Vorschein. Man muss ja nur die Namen repetieren, die Rudi und Gretchen und für den Sohn Hosea-Che lauteten, um die Mischung aus Bierabend und Jungfernkranz, Gewerkschaftsmief und Weihrauchfass in die Nase zu bekommen, die für Dutschke und seinen Anhang so bezeichnend war. Der Sohn dieser heiligen Familie kam freilich nicht auf Stroh zu liegen, sondern auf jenen Dynamitstangen, die ein italienischer Verleger seinem Freund Dutschke als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Für die hat Dutschke dann im Kinderwagen das passende Versteck gefunden.“

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